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Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Titel: Im Licht von Apfelbäumen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Coplin
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Feld herum und taten so, als wäre Talmadge ein Pferd und Angelene eine Forscherin, oder wanderten bis zu den oberen Obstgärten und hielten Ausschau nach Della. Irgendwann, dachte er jetzt, hatten sie damit aufgehört, weil sie wussten, dass sie nicht kommen würde; und auf seinen Schultern konnte er sie sowieso nicht mehr tragen. Im Stehen – sie war während des Singens zu ihm gekommen und lehnte sich an ihn – reichte ihm ihr Kopf mittlerweile bis zum Brustbein. Schwer vorstellbar, dass er diesen Körper je auf seinen Schultern hatte tragen können. Allein der Gedanke daran ermüdete ihn – der Gedanke, nach einem Tag wie diesem mit all seiner Aktivität, all den Männern auf dem Hof in ihrem ungewohnt feinen Aufzug, den Gesichtern, die genauso erschöpft aussahen wie seins, noch bis zu den oberen Obstgärten und wieder zurück zu laufen, weckte in ihm den Wunsch, sich auf den Birkenholzsessel zu setzen und in süße Bewusstlosigkeit zu versinken.
    Das Mädchen nahm ihren Kopf von seiner Brust. Talmadge, sagte sie. Sie war jetzt ganz ernst. Redete davon, dass sie in diesem Jahr oben eine neue Apfelbaumsorte pflanzen wolle, sie habe darüber nachgelesen und wolle es mit ihm besprechen …
    Das Mädchen war vierzehn, dachte er – vierzehn! –, und augenblicklich erfüllte ihn Freude – und Traurigkeit.

    Der hübsche Wärter – Frederick – tastete Della ab, bevor er sie wieder in die Zelle führte, und fand die Flasche. Er sagte ihr, sie solle sie aus dem Hosenbund nehmen. Holen Sie sie doch selbst, gab sie zurück, und als er nach kurzem Zögern danach griff, kam sie ihm zuvor und fuchtelte damit herum. Er wich zurück – aber ohne Hast und mit seltsam belustigter Miene. Belustigt, aber auch besorgt. Er beobachtete sie wachsam.
    Della, sagte er und schob seine Mütze weit nach hinten. Was machen Sie denn da, Schätzchen.
    Nennen Sie mich nicht so, sagte sie. Dann: Sie lassen mich jetzt zu ihm.
    Frederick hob die Augenbrauen und tat so, als wüsste er nicht, was sie meinte.
    Denken Sie sich irgendwas aus, damit ich mit ihm sprechen kann.
    Sie träumen wohl, Miss Michaelson. Häftling Michaelson.
    Ich träume nicht. Ich muss mit ihm sprechen. Sie hätte gern hinzugefügt: Ihr redet doch alle andauernd von zivilisiertem Benehmen. Tja, genau daran versuche ich mich jetzt zu halten. Erst reden, dann töten. Ihn wissen lassen – ihn daran erinnern –, warum ich ihn töte.
    Im Ernst, sagte Frederick und schenkte ihr ein offenherziges Lächeln – allerdings hatte sie das Gefühl, als machte er sich noch immer über sie lustig –, Sie werfen das jetzt lieber weg oder geben es mir …
    Nein. Sie … Sie sollen mich mit ihm sprechen lassen und …
    Ich?
    Ja. Entweder Sie lassen mich zu ihm, oder – sie überlegte einen Moment –, oder ich sage, Sie hätten sich an mich rangemacht. Das wird dem Amtsrichter gar nicht gefallen, oder? Ein junger Mann, der sich an einem Häftling vergreift. Einem weiblichen Häftling! Sie hielt inne. Dann sagte sie leise: Ich möchte nur mit ihm reden, mehr nicht. Eine Minute.
    Mit wem?
    Das wissen Sie genau.
    Er drehte sich um, schaute über den Hof. Blinzelte in der späten Sonne. Kaute mit den Backenzähnen auf etwas herum. Auf einmal hielt sie es für möglich, dass er ihr helfen würde; und was für ein Wunder wäre das. Nach einer Weile – er sah sie noch immer nicht an; die Flasche hatte sie inzwischen wieder in ihren Hosenbund gesteckt – sagte er leise: Könnten Sie jetzt wieder in Ihre Zelle gehen, Häftling Michaelson?
    Die Flasche nahm er ihr nicht ab.

    Caroline Middey war nicht die Einzige, die sich an das Gewehr erinnerte. Als Angelene es in den niedrigen Ästen des Aprikosenbaumes entdeckte, stockte ihr der Atem. Aber warum? Weil sie ihr Geburtstagsgeschenk gefunden hatte? Sie nahm das Gewehr in die Hand und dachte – oder
registrierte
vielmehr bloß, denn ihr Gedächtnis arbeitete noch hart daran, herauszufinden, wo sie es schon einmal gesehen hatte –, dass es ihr einfach unheimlich vertraut war. Vielleicht hatte sie genau so ein Gewehr mal in der Stadt gesehen oder in einem Katalog; aber beides schien ihr irgendwie nicht zu stimmen. Sie ging mit dem Gewehr über den Rasen.
    Und in dem Moment wusste sie Bescheid – als sie sah, wie Talmadge es betrachtete und wie die anderen Männer, Clee, der Cowboy, Überraschung vortäuschten und Caroline Middey plötzlich hellwach und irritiert wirkte; vor allem aber an Talmadges Gesicht, das

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