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Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Titel: Im Licht von Apfelbäumen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Coplin
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gehabt habe, ja die ihr vom Schicksal und von der Gesellschaft wieder und wieder gnadenlos verweigert worden sei. Blieb ihm etwas anderes übrig?, fragten einige Journalisten. Was hätten Sie getan, liebe Leser? Es war eine Debatte, die sicher ihren Einfluss auf die Entscheidung des Gerichts hatte, sein ursprüngliches Urteil zu revidieren und Talmadge vorzeitig auf seine Plantage zurückkehren zu lassen.
     
    Die Zeitungen widersprachen einander. Zum Beispiel, was Talmadges offizielles Verhör betraf, nachdem er in Gewahrsam genommen worden war. Einige meinten, es habe am Dienstagnachmittag stattgefunden. Andere sprachen von Mittwochmorgen. Ein Reporter schrieb, Talmadge habe die ganze Zeit mit steinerner Miene dagesessen, dabei waren bei der Befragung gar keine Reporter zugelassen gewesen. Einer der Wärter musste es ihm also beschrieben haben. Doch warum sollte man dem Wärter glauben, der wahrscheinlich jung war und sich geschmeichelt fühlte, gefragt zu werden? Wenn an anderer Stelle behauptet worden wäre, Talmadge habe geweint oder über Schmerzen in der Brust geklagt, wäre das glaubhafter gewesen? Nach all den falschen Aussagen, die so bedenkenlos veröffentlicht wurden, war Angelene nicht mehr bereit, auf das zu vertrauen, was andere den Sachverhalt oder die Wahrheit nannten. Sie lernte, nur noch zu glauben, was sie mit eigenen Augen sah, was sie selbst bezeugen konnte. Und auch dann blieb es noch problematisch, weil das Gedächtnis einem gelegentlich Streiche spielte. Doch das war eine Lektion, die sie erst viel später lernen würde. Einstweilen war sie einfach entsetzt und schockiert von dem, was sie las; ihr Vertrauen in die Menschheit schwand innerhalb weniger Wochen rapide.
     
    Caroline Middey, nicht Talmadge, erzählte dem Richter Emil Marsden schließlich von Janes Selbstmord auf der Plantage. Vor der Verhandlung hatte er, was erstaunlich genug war, nichts davon gewusst. Niemand wusste davon, außer natürlich Talmadge und Caroline Middey sowie seit Kurzem Angelene – wenn auch nicht in all den Einzelheiten, die sie später noch erfahren würde. Caroline Middey wollte dem Richter von Jane erzählen, weil sie der Meinung war, dass es ihnen allen vor Gericht nützen würde. Wenn die Geschworenen wüssten, dass Dellas Schwester sich aus Angst vor demselben Mann, mit dem Della eingesperrt gewesen war, das Leben genommen hatte, würden sie vielleicht Dellas Angst vor ihm besser verstehen. Oder ihre Absicht, ihm etwas zuleide zu tun, und damit vielleicht auch Talmadges Wunsch, sie zu befreien, um sie von einer solchen Absicht zu erlösen. Er wollte ihr zur Flucht verhelfen, damit sie diesen Mann nicht tötete, wozu sie aber genötigt gewesen wäre, wenn sie in seiner Nähe hätte leben müssen.
    Als Caroline Middey Talmadge auseinandersetzte, inwiefern die Offenlegung von Janes Selbstmord sowohl ihm als auch Della helfen würde, weigerte er sich, dem Richter davon zu erzählen. Nach längerer Überlegung hätte er sicher anders entschieden. Denn theoretisch hatte Caroline Middey recht. Aber bevor er sich anders entscheiden konnte, hatte Caroline Middey die Sache schon selbst in die Hand genommen und dem Richter erzählt, was vierzehn Jahre zuvor in dem Apfelgarten geschehen war; sie erzählte ihm die ganze Geschichte.
    Danach wandelte sich das Interesse der Reporter und Journalisten an diesem Fall komplett. Er wurde zu etwas umgeschrieben, das ja nicht völlig falsch war: einer düsteren Saga um Sex, Mord und Gewalt. Das Augenmerk richtete sich dabei nicht nur auf Della sowie diese neu aufgetauchte Schwester, Jane, und ihren Peiniger James Michaelson; die
Wenatchee World
griff auch ein Stichwort aus dem
Leavenworth Echo
auf, in dem jemand aus dem Ort den Reporter auf Talmadges Vergangenheit hinwies, insbesondere auf den Umstand, dass er als junger Mann von gerade mal siebzehn Jahren seine Schwester verloren hatte. Sie war eines Nachmittags mit ihrem Korb zum Kräuterpflücken in den Wald hinter seinem Stück Land gegangen und einfach verschwunden.
    Ein alter Mann aus Peshastin wurde ausfindig gemacht, der sich angeblich noch daran erinnerte, wie die Geschwister, Talmadge und seine Schwester, beide dunkelhaarig und sehr still – »wie zwei Stumme« –, Hand in Hand die Hauptstraße entlanggegangen seien und die Schaufensterauslagen betrachtet hätten. Sie sei sein Ein und Alles gewesen, sein Alpha und Omega, schwärmte ein Journalist und schrieb weiter, es sei kein Wunder, dass Talmadge im späteren

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