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Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Titel: Im Licht von Apfelbäumen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Coplin
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gerade, dachte sie. Bestimmt brachte Talmadge Della jetzt auf das Schiff.
    Inzwischen – sie war ein Stück weitergegangen und hielt wieder inne – hatte sich an einer Stelle des Strands ein großes Menschenknäuel gebildet. War es das, was Talmadge wollte? Verlief noch alles nach seinem Plan? Sie zögerte. Sollte sie von hier oben zuschauen? Sollte sie versuchen, Clee in der Menge auszumachen? Vielleicht, dachte sie, hatte sie genug gesehen. Aber sie rührte sich nicht. Wartete darauf, dass etwas geschah.
    Wie viel Zeit verstrich? Eine neue Welle der Angst packte sie, machte die Zeit bedeutungslos.
    Und dann begann die Menge sich zu teilen – ziemlich dramatisch, von oben betrachtet –, und Angelene registrierte, ohne es zu glauben, ohne zu
fühlen,
was es hieß, dass Talmadge und Della von Wärtern in Richtung der Schaulustigen am Strand eskortiert, nein: abgeführt wurden. Sie erschrak. Natürlich war etwas schiefgegangen. Sie wusste kaum, was sie tat, als sie die Treppe hinunterzusteigen begann. Bald war sie auf Höhe der Menge angelangt und tauchte in sie ein.
    Als der nächste Schuss fiel, zuckte sie abermals zusammen. Hielt sich die Ohren zu. Die Leute um sie herum gingen in Deckung, und da sah sie, keine fünfzehn Fuß vor sich, Dellas Rücken. Della, die den Kopf verdrehte, um sich etwas an ihrer Schulter anzusehen; den Arm hob und ihn untersuchte. War sie angeschossen worden?, dachte Angelene. Ihr Körper wurde schwerelos vor Angst. Sie drängelte sich vorwärts. Und dann folgte eine Stille – eines jener Vakuen, wie sie manchmal, ganz selten, in lärmenden Menschenmengen entstehen –, und sie konnte einzelne Stimmen hören, die in der Luft wehten wie lose Fäden. Murmelnde Frauen: Wurde er getroffen? Und dann, lauter: Ich glaube, er wurde getroffen!
    Und mit einem Schlag stoben die Menschen auseinander – auch Della wurde von einem Wärter zur Seite gezerrt –, und Angelene sah Talmadge in dem frei gewordenen Raum, ganz allein, auf Knien. Eine Hand auf dem Herzen wie bei einem Schwur. Seine Lippen bewegten sich.
    Sie wollte zu ihm. Im nächsten Moment wurde er wieder von der Menge verdeckt. Sie kämpfte sich durch das Gedränge. Und dann sah sie ihn wieder, mit dem Gesicht am Boden.
    Talmadge!, schrie sie.
    Sie kämpfte sich weiter vor, bis ein Wärter kam und ihr den Weg versperrte. Sie klammerte sich an seinen Arm.
    Bitte …
    Er schüttelte sie ab, schleuderte sie zur Seite. Zurücktreten!, brüllte er über ihren Kopf hinweg. Alle zurücktreten!
    Sie kniete jetzt fast, um mit dem Gesicht so nah wie möglich an Talmadge heranzukommen – sah ihre eigenen flatternden Hände, die sich nach ihm ausstreckten –, bis sie plötzlich derart heftig an der Taille zurückgerissen wurde, dass ihr die Luft wegblieb: Ihre Zähne schlugen aufeinander. Sie hatte sich auf die Zunge gebissen, weinte, schmeckte Blut.
    Was hab ich gesagt?, rief der Wärter. Was hab ich gesagt?
    Sie sah sich Hilfe suchend um.
    Und dann hörte sie jemanden ihren Namen rufen. Es war eine seltsam vertraute Stimme. Aber wer außer Talmadge und Caroline Middey konnte diese Saite in ihr berühren? Vielleicht war es jemand aus Peshastin, der sie erkannt hatte, dachte sie. Jemand, der ihr jetzt helfen würde. Als sie krampfhaft nach der Person suchte, zu der die Stimme gehörte, entdeckte sie Della, die die Stufen zur Plattform hinaufgezerrt wurde. Della wehrte sich, und als sie den Kopf nach Angelene umdrehte, waren ihre Lippen fest aufeinandergepresst, und ihre Augen funkelten. Einen Moment lang war Dellas Gesicht – ihre Angst, aber auch ihre Entschlossenheit – alles, was Angelene sah. Und dann, mit einem Schlag, war sie fort.

    Es gab keine Zeugen außer dem Wärter, der gehandelt hatte – und der sagte aus, Della habe zur Waffe gegriffen. Dass man keine bei ihr gefunden habe, sei ohne Belang; der Mann, sagte sein Anwalt, habe allen Grund zu der Annahme gehabt, dass Miss Michaelson in der Zeit, in der sie nicht in Gewahrsam gewesen war, eine zugespielt worden sei. Die Wärter in der Ausbildung, zu denen auch dieser Mann gehörte, hätten von Dellas Neigung zur Gewalt gewusst und die Wahrscheinlichkeit, dass sie bewaffnet gewesen sei, als
sehr hoch
eingeschätzt, sagte der Anwalt. Der Wärter war die Treppe zum See hinuntergerannt und hatte außer Atem abgedrückt; seine Kugel hatte Dellas Ellbogen gestreift und war in Talmadges Schulter eingedrungen. Der Anwalt räumte ein, dass der Mann die erst kürzlich in der

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