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Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Titel: Im Licht von Apfelbäumen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Coplin
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das Mädchen aufmerksam an.
    Wenn Talmadge wüsste, worüber wir hier reden …
    Aber warum?, fragte Angelene, und ihr Blick war hellwach vor Interesse. Sie hatte aufgehört zu arbeiten und hielt mit beiden Händen den Schüsselrand umfasst. Wäre er böse? Aber warum?
    Caroline Middey war ratlos.
    Es gibt Themen, die manchen Menschen – vor allem Talmadge – sehr unangenehm sind.
    Aber dir nicht, sagte Angelene.
    Nein, mir nicht, räumte sie ein. Nach kurzem Schweigen, als beide ihre Arbeit wieder aufgenommen hatten, sagte sie: Ich möchte, dass du mit solchen Fragen zu
mir
kommst – stell sie nicht irgendwelchen anderen Leuten.
    Angelene, die anscheinend zufrieden und wieder in ihre Arbeit vertieft war, sagte ohne Zögern: Ist gut.
     
    Erst abends, als das Mädchen sich schon schlafen gelegt hatte – in dem Zimmer mit den von der Decke hängenden Kräutern; Talmadge schlief auf einer Pritsche in der Küche –, machte Caroline Middey sich klar, dass Angelene das Wort irgendwo aufgeschnappt haben musste, um die bewusste Frage zu stellen. Caroline Middey nahm sich fest vor nachzuforschen, doch als das Mädchen am nächsten Morgen mit frisch gewaschenem Gesicht zu ihr kam, eine Bürste in der Hand, um sich von ihr die Haare flechten zu lassen, brachte sie es nicht über sich. Wenn das Mädchen beunruhigt war, dachte Caroline Middey, dann wusste sie jetzt, dass sie zu ihr kommen konnte.
    Aber sie machte sich trotzdem Sorgen. Was hatte das Mädchen gehört? Was dachte sie?
     
    Auf dem Rückweg zur Plantage, hinten im Wagen, fühlte Angelene sich von aller Sorge befreit. Das Mädchen auf dem Bauernmarkt hatte sie die Tochter einer Hure genannt – aber sie hatte sich eindeutig geirrt oder von jemand anderem gesprochen. Denn Angelene kannte keine Huren.

    Wie lange war Della dieses Mal in der Wildnis gewesen? War sie in den Wald gegangen, weil sie sich krank fühlte, oder krank geworden, weil sie sich in den Wald zurückgezogen hatte? Jeder weitere Tag zehrte an ihrem Erinnerungsvermögen, und nachdem eine gewisse Zeit ins Land gegangen war – eine Woche, ein Monat, zwei? –, war sie sich der Ereignisse, die zu diesem Moment geführt hatten, nicht mehr sicher. Eines Morgens wachte sie auf und wusste nicht mehr, wie sie hieß. Dolly? Annie? Annie hatten sie die Mädchen bei Michaelson genannt, die ihnen ihren richtigen Namen nicht verraten wollten …
    Tage verstrichen. Irgendwie schaffte sie es, draußen in der Kälte zu schlafen. Sie hatte eine Büffeldecke gestohlen. Lachte, weil sie nicht mehr wusste, wo die herkam. Lag ganze Tage lang darunter, fiebernd. Das Fieber brachte etwas von ihrem alten Kummer hervor. Sie rief Janes Namen oder glaubte zumindest, dass sie ihn rief. Erinnerte sich an ihre Kinder, die nicht vollständig entwickelt gewesen, die gestorben waren. Und wie konnte es sein, dass sie selbst immer noch lebte?
    Sie träumte von Talmadge; davon, dass er ihr Essen kochte. Er sagte, sie solle auf eine seiner geschlossenen Fäuste zeigen. Das tat sie, und er drehte die Hand um und öffnete sie: Ein Aprikosenkern war darin. Sie griff danach, und er verschwand.
    Am Morgen krabbelte sie wütend, schwindlig vor Hunger, unter der Decke hervor und stolperte zu einer Straße, die sie offenbar kannte, denn sie ging direkt dorthin und machte sich auf den Weg in die Stadt.
    Das Fieber war weg. Sie würde etwas essen, sich ein Pferd besorgen – ihr eigenes, mit dem sie in den Wald gekommen war, war verschwunden – und sich dann Arbeit suchen.
     
    In der Schule nördlich von Cashmere, am Flussufer, saß Angelene nahe bei dem Fenster, durch das man auf eine große Pappel schauen konnte. Der Baum gab ihr Mut, er schien allein zu dem Zweck dort gepflanzt zu sein, ihr als Freund zur Seite zu stehen.
    Am Anfang war sie sehr ängstlich – die Luft roch nach Kreide und feuchter Kälte, und die Stimmen der anderen Kinder waren spitz wie Nadeln, zudringlich –, doch das ging vorbei.
    Geschichte verwirrte sie. Es schien so viel davon zu geben. Sie zog Erdkunde vor, verblüfft von der Vorstellung, dass es so völlig andere Landschaften geben konnte als die, in der sie lebte. Nach einer Unterrichtsstunde in Photosynthese zeichnete sie Diagramme in das kleine Notizbuch, das Talmadge ihr geschenkt hatte, betrachtete diese Zeichnungen oft, besserte sie aus und dachte: So funktioniert das alles: Sonne, Erde, Zucker, Wasser … Sie konnte es nicht erwarten, Talmadge davon zu erzählen.
    Ihre andere große

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