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Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Titel: Im Licht von Apfelbäumen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Coplin
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anders sein als auf jener daumengroßen Fotografie, die in ihrer Tasche steckte. Doch es dauerte überhaupt nicht lange an. Zwei Jahre – vielleicht ein bisschen länger – reiste sie auf diese Art und mit dieser Leichtigkeit, die gar keine war, sie behielt es nur so in Erinnerung. Und dann lenkten andere Dinge sie ab. Das Trinken, aber nicht nur das. Reiten genügte nicht mehr, um zu der Verzweiflung vorzudringen, die sie so sehr brauchte. Jane war in den Pferden gewesen, doch jetzt fand sie sie dort nicht mehr. Sie war woanders. Was war mit ihr geschehen? Della konnte sich nicht mehr erinnern, wie sie roch, wie ihre Stimme klang. Hatte sie je eine Schwester gehabt, oder war auch das nur ein Traum gewesen, wie so vieles sonst?

    Angelene bewarb sich mit einem Kürbis aus ihrer ersten Ernte auf dem Bauernmarkt und gewann einen Preis. Hinterher wollte der Zeitungsreporter ein Foto von ihr mit dem Kürbis schießen, und so saß sie, die Frucht vor ihren Füßen und ihren alten Strohhut auf dem Kopf, auf einem Heuballen und posierte. In der Sekunde, nachdem der Mann auf den Auslöser gedrückt hatte – Angelene war noch vom Blitz geblendet, und das hohe Insektengesumm der Boxkamera erfüllte die Luft –, hörte sie zwei Stimmen, Mädchen oder vielleicht auch junge Frauen. Die erste sagte: Wer ist das? Und die andere antwortete kess: Ach, das ist die Tochter von dieser Hure, die hat den Preis gewonnen …
    Die Tochter von dieser Hure.
Angelene wusste nicht genau, was das bedeutete, doch was sie wusste, reichte aus, um augenblicklich kalten Schweiß auf der Stirn zu spüren und später, auf der Heimfahrt, Talmadge lieber nicht danach zu fragen.
    Er merkte nicht, dass etwas nicht stimmte. Er blickte unverwandt geradeaus, einen Ausdruck unterdrückter Freude auf dem Gesicht, weil sie den Preis gewonnen hatte.
    Sie ließ den Moment verstreichen, denn schon damals spürte sie intuitiv, was ihn verletzen würde.
     
    Was ist eine Hure?, fragte sie Caroline Middey zwei Tage später, als sie in deren Küche Kartoffeln pellten. Sie bereiteten das Abendessen für sie alle zu: Talmadge war in die Stadt gefahren, würde aber bis zum Abend zurück sein.
    Caroline Middey hob die Augenbrauen, ohne von ihrer Arbeit aufzublicken. Sie zögerte.
    Eine Hure ist eine Frau, die für Geld Männern beiwohnt, sagte sie.
    Nach kurzem Schweigen sagte Angelene: Oh.
    Dann das Unvermeidliche: Was meinst du mit beiwohnt?
    Caroline Middey seufzte. Sie und Talmadge hätten sich darüber verständigen sollen: Wann war der richtige Zeitpunkt gekommen, mit dem Mädchen über gewisse Dinge zu sprechen? Aber wenn es nach Talmadge ging, dachte sie, würde das Mädchen es nie erfahren.
    Angelene arbeitete jetzt langsamer und beobachtete Caroline Middey, als versuchte sie ihr vom Gesicht abzulesen, was immer es da zu erfahren – zu verstehen – gab.
    Also, das ist so, sagte Caroline Middey. Erwachsene Männer und Frauen machen etwas, verheiratete Leute, aber nein, sie müssen nicht unbedingt verheiratet sein – sie hielt inne, überlegte. Wenn sie sich lieben und zusammen sein möchten, dann ziehen sie ihre Sachen aus und reiben … bestimmte Teile ihres Körpers aneinander. Das nennt man Verkehr.
    Das Mädchen zog verdutzt den Kopf zurück.
    Nein, sagte sie und brach in Gelächter aus. Erzähl weiter!
    Auch Caroline Middey musste unwillkürlich lächeln. Wie merkwürdig das alles war – das Mädchen hatte recht – und wie merkwürdig es erst sein musste, zum ersten Mal davon zu hören.
    Es hat noch viel mehr damit auf sich, warnte Caroline Middey sie. Und eines Tages werde ich dir das alles erklären. Aber ein junges Mädchen wie du braucht nicht so viel zu wissen. Es nützt nichts, jetzt schon Bescheid zu wissen – oder über diese Dinge nachzudenken.
    Beide schwiegen.
    Und eine Hure macht das für Geld?, hakte Angelene nach. Wie viel Geld?
    Caroline Middey schürzte die Lippen.
    Meine Güte, Kind!
    Angelene zuckte zurück, beeindruckt und erstaunt, dass sie die Frau, die nur schwer aus der Fassung zu bringen war, mit dieser Frage irritieren konnte.
    Ich weiß es nicht, antwortete Caroline Middey. Aber so viel kann ich dir sagen: Es ist nichts, worüber Frauen, die meisten Frauen jedenfalls, gern sprechen, wenn sie selbst es tun oder jemand, den sie kennen. Es ist nicht … akzeptiert, größtenteils. Sie hielt kurz inne. Es gibt Menschen, die keine Schande darin sehen. Sie behandeln es wie einen … Geschäftsakt. Doch dann sah sie

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