Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Im Meer schwimmen Krokodile

Titel: Im Meer schwimmen Krokodile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Geda
Vom Netzwerk:
umher und verabschiedeten uns von der Stadt.
    Am nächsten Morgen brachte uns der Schlepper an einen Ort ganz in der Nähe, der etwa einen zwanzigminütigen Fußmarsch entfernt war. Dort blieben wir dann bis mittags und aßen Joghurt mit Gurken. Das war unsere letzte Mahlzeit in Pakistan, das weiß ich noch wie heute. Anschließend sind wir aufgebrochen.
    Zunächst nahmen wir einen Linienbus bis zur Grenze, einen Bus mit vielen Sitzplätzen. Und zwar nicht als blinde Passagiere, die sich unter den Sitzen verstecken, sondern mit Fahrkarte, wie die vornehmen Leute. Wir waren begeistert. Nie hätten wir gedacht, dass unsere Reise in den Iran so bequem sein würde. Das war sie natürlich nicht, doch anfangs gab es nichts daran auszusetzen. Alles war wunderbar.
    An der Grenze schlossen wir uns einer anderen Gruppe an. Wir waren zu siebzehnt und bestiegen die Ladefläche eines Toyota. Vorne gab es vier Plätze, die der Schlepper und seine Kumpanen belegten, während wir uns zu siebzehnt hinten draufquetschten, dicht an dicht wie die Sardinen. Es war auch so ein Bärtiger dabei – unter uns Geschmuggelten, meine ich –, ein großer, zerzauster Kerl, der mich von Anfang an nicht ausstehen konnte. Und obwohl ich ihm gar nichts getan hatte, versuchte er während der Fahrt, mich mit dem Ellbogen vom Transporter zu schubsen. Einfach so, wie wenn nichts wäre! Und das so oft, dass ich irgendwann sagen musste: Hör auf, lass das sein!
    Aber bei dem Lärm hätte ich genauso gut an eine Wand hinreden können. Der Toyota fuhr steil bergauf und über zahlreiche Schlaglöcher, so dass ich auch ohne die Stöße des Bärtigen riskierte, von der Ladefläche zu fallen. Ich fing an, ihn anzuflehen, sagte, ich hätte ihm doch gar nichts getan. Auch Sufi wusste weder ein noch aus. Er wollte mir helfen, aber wie? Irgendwann stand einer der Männer auf, ein Tadschike vermutlich. Er stand ganz normal auf, als wollte er einen Schluck Wasser trinken, verpasste dem Bärtigen einen Fausthieb mitten ins Gesicht und befahl ihm, mich in Ruhe zu lassen. Ich hätte ihm schließlich nichts getan, wir säßen alle im selben Boot und wollten heil ankommen, wozu sich da gegenseitig das Leben schwermachen?
    Da hat sich der Typ beruhigt.
    Nach unzähligen Stunden hielten wir und mussten aussteigen. Keine Ahnung, wo wir waren: Vor uns lag nur ein verdorrter, kahler Hügel, der dem knatternden Wind ausgesetzt war. Es war stockdunkel, selbst der Mond hatte sich an jenem Abend verkrochen. Die Schlepper versteckten uns in einer Höhle, sie durften immer nur fünf Leute auf einmal über die Grenze bringen.
    Als Sufi und ich an der Reihe waren, sollte Sufi hinten und ich vorne auf dem Beifahrersitz Platz nehmen. Die Schlepper befahlen mir, mich zu ducken. Vorne stiegen noch zwei Personen ein, so dass ich die Fahrt in die Stadt – bei der ich so gern aus dem Fenster geschaut hätte – unter den Füßen der beiden anderen Fahrgäste verbrachte, deren Schuhsohlen auf meinem Rücken ruhten.
    Die Stadt, in die wir schließlich kamen, hieß Kerman.

Iran
    Ein zweistöckiges Haus. Ein Innenhof mit Pflanzen, den eine Steinmauer von der Straße trennt. Wir konnten natürlich nicht hinausgehen, um Buzul-bazi oder Fußball zu spielen. Im ersten Stock befanden sich ein Bad mit Dusche und zwei geräumige Zimmer mit Kissen, Teppichen und vielen Fenstern, die jedoch alle verhängt waren. Im Erdgeschoss sah es genauso aus, bis auf das Bad, das draußen im Innenhof im Schatten einer Zypresse lag. Im Grunde war das Haus in Kerman ein schönes Haus.
    Wir, der Schlepper und seine Leute, waren dort nicht die einzigen. Es gab noch andere, die wer weiß woher kamen, illegale Einwanderer wie wir. Manche schliefen, andere aßen, und wieder andere flüsterten leise. Jemand schnitt sich die Nägel, ein Mann tröstete ein Kind, das in einer Ecke auf dem Boden lag und erbärmlich weinte. Ein Schlepper, der am Tisch saß, reinigte ein langes Messer. Viele rauchten, und Qualm verdunkelte das Zimmer. Frauen gab es keine. Sufi und ich setzten uns auf den Boden und lehnten uns an eine Wand, um uns auszuruhen. Man brachte uns zu essen: Reis und frittiertes Huhn. Vielleicht, weil wir noch am Leben, im Iran in diesem hübschen Haus waren, und es leckeren Reis und frittiertes Huhn gab, begann ich, ganz überwältigt von meinen Gefühlen, zu zittern.
    Mir war gleichzeitig heiß und kalt. Ich schwitzte. Mein Atem ging pfeifend, und ich bekam solchen Schüttelfrost, dass mich nicht einmal ein Erdbeben

Weitere Kostenlose Bücher