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Im Meer schwimmen Krokodile

Titel: Im Meer schwimmen Krokodile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Geda
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verlassene, ein sturzgefährdete Häuser. Hinter den Autos Drogenabhängige. Feuer. Müll. Ich selbst war auch sehr schmutzig, ging aber jeden Morgen noch vor dem Frühstück in die Mo schee, um mich zu waschen, und lief anschließend an der üblichen Schule vorbei.
    Das habe ich kein einziges Mal ausgelassen, so als wollte ich nicht schwänzen.
    Eines Nachmittags sprach ich mit dem Sahib , dem Ladenbesitzer und meinem Geschäftspartner. Ich sagte, dass ich aufhören und mir eine andere Arbeit suchen wolle, weil ich es nicht mehr aushielte, auf der Straße zu schlafen.
    Da nahm er schweigend einen Zettel und rechnete mit mir ab. Er sagte mir, wie viel ich bisher verdient hätte. Ich traute meinen Ohren kaum, denn es war eine ziemlich stolze Summe. Er holte Münzen und Scheine aus einem Umschlag und drückte sie mir in die Hand. In meinem ganzen Leben hatte ich noch nie so viel Geld auf einen Haufen gesehen. Dann sagte er: Wenn es nur ums Schlafen geht, kannst du abends kurz vor Geschäftsschluss zu mir kommen. Dann lasse ich dich in meinem Laden übernachten.
    Im Laden?
    Im Laden.
    Ich sah mich um. Der Raum war sauber, auf dem Boden lagen Teppiche, und die Wände waren von Kissen gesäumt. Es gab kein Wasser und kein Bad, aber ganz in der Nähe lag eine Moschee, in die ich morgens gehen konnte.
    Ich nahm seinen Vorschlag an. Abends tauchte ich kurz vor sieben vor dem Laden auf, während er gerade die Rollläden herunterließ. Er gab mir nicht etwa die Schlüssel, das nicht. Ich war die ganze Nacht eingesperrt, bis er am nächsten Morgen wiederkam, um aufzumachen. Unter Umständen erst gegen zehn oder noch später. Da ich nicht wusste, wie ich mir die Zeit bis zur Ladenöffnung vertreiben sollte, versuchte ich die Zeitungen zu lesen, die er auf dem Tresen liegen ließ. Aber die Sprache Urdu habe ich leider nie richtig gelernt. Ich las langsam, so langsam, dass ich schon nach einer halben Seite nicht mehr wusste, worum es eigentlich ging. Ich suchte nach Nachrichten über Afghanistan.
    Eines Wintermorgens – sah ich wie jeden Tag in den Himmel und hoffte, dass es schneien würde wie in Nawa. Aber obwohl es so kalt war, dass einem alles abfror, war der Winter in Quetta ein Winter ohne Schnee, das Schlimmste, was man sich überhaupt vorstellen kann. Als ich begriff, dass es niemals schneien würde, weinte ich wie noch nie in meinem Leben. Eines Wintermorgens also, ging ich in ein Geschäft, in dem Teller und Gläser verkauft wurden, und bat um etwas Wasser. Der Ladenbesitzer sah mich an wie ein Stück Dreck und sagte: Wer bist du überhaupt? Bist du ein Schiit oder ein Muslim?
    Normalerweise ist das ein und dasselbe, er stellte mir also eine wirklich blöde Frage. Ich verlor die Geduld, denn irgendwann ist jede Geduld am Ende, auch wenn man nur ein kleiner Junge und kaum größer als eine Ziege ist. Also sagte ich: Erstens bin ich ein Schiit und zweitens ein Muslim. Besser gesagt, erstens bin ich ein Hazara, zweitens ein Schiit und drittens ein Muslim.
    Ich hätte ihm genauso gut sagen können, dass ich Muslim sei, aber ich wurde frech und sagte, was ich sagte. Also nahm er einen Besen, mit dessen Stiel er mich böse verprügelte. Er hieb erbarmungslos auf meinen Kopf und Rücken ein. Ich floh lauthals schreiend aus dem Geschäft, teils vor Wut, teils vor Schmerz, aber keiner der Umstehenden half mir. Ich kniete mich hin, hob einen Stein auf und warf ihn in das Geschäft. Mein Wurf war dermaßen präzise, dass mich ein zufällig vorbeikommender Amerikaner sofort in seine Baseballmannschaft aufgenommen hätte. Ich hatte nicht vor, den Besitzer zu treffen, sondern wollte nur ein paar Teller und Gläser zu Bruch gehen lassen. Der Besitzer ging unter dem Ladentisch in Deckung, um dem Stein auszuweichen, der alles in dem Holzregal hinter ihm zertrümmerte. Danach lief ich weg.
    In diese Straße bin ich nicht mehr zurückgekehrt, nie mehr. Wo Sufi damals war, weiß ich nicht, manchmal gingen wir auch getrennte Wege.
    Am Nachmittag desselben Tages ging ich zu den Indern, um Ash zu essen. Ash ist eine Suppe mit Hülsenfrüchten und langen dünnen Nudeln. Ich aß also dieses Ash – ich hatte nämlich mehr verdient als sonst und wollte mir etwas gönnen, Brotfladen mit Joghurt konnte ich langsam wirklich nicht mehr sehen – und hatte meine Schale gerade erst in Empfang genommen, als einer der Langbärte vorbeikam und sagte: Warum isst du Ash bei einem Inder?
    Ash essen ist nämlich eine Sünde – warum, weiß ich auch nicht,

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