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Im Meer schwimmen Krokodile

Titel: Im Meer schwimmen Krokodile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Geda
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so hätte erschüttern können.
    Was hast du?, fragte Sufi.
    Ich weiß nicht.
    Bist du krank?
    Ich fürchte, ja.
    Wirklich? Wie krank?
    Ruf den Mann.
    Welchen Mann?
    Den, der mich vor dem Bärtigen beschützt hat.
    Der Mann, der auf der Fahrt mit dem Toyota verhindert hatte, dass ich mir auf dem Grund einer Schlucht sämtliche Knochen brach, kniete sich neben mich und legte mir eine Hand auf die Stirn – seine Hand war riesig, seine Finger reichten von einem Auge zum anderen.
    Seine Stirn ist kochend heiß. Er hat Fieber.
    Sufi steckte sich einen Finger in den Mund. Und was jetzt?
    Nichts. Er muss sich ausruhen.
    Kann er daran sterben?
    Der Mann zog die Nase kraus. Wer weiß, kleiner Hazara, wer weiß? Hoffen wir das Beste! Ich glaube, er ist einfach nur müde.
    Können wir niemanden rufen, einen Arzt vielleicht?
    Das müssen die entscheiden, sagte der Mann und zeigte auf die Belutschen. In der Zwischenzeit hole ich ein Tuch und tränke es mit kaltem Wasser.
    Ich erinnere mich, wie ich ein Auge öffnete. Das Lid war so schwer wie die Eisenrollläden des Sandalengeschäfts vom Sahib .
    Geh nicht fort, sagte ich zu Sufi.
    Ich gehe nirgendwohin, beruhige dich.
    Der Mann kam mit dem wassergetränkten Tuch zurück. Er legte es mir auf die Stirn, ganz sanft, und sagte Worte, die ich nicht verstand. Ein paar Wassertropfen liefen mir in die Haare, über Hals und Wangen und hinter die Ohren. Ich hörte Musik und muss gefragt haben, wer da spielt. Ich erinnere mich an das Wort »Radio«. Ich erinnere mich, dass ich wieder in Nawa war und dass es schneite. Ich erinnere mich, wie mir meine Mutter übers Haar strich. Ich erinnere mich an den gütigen Blick meines toten Lehrers, daran, wie er ein Gedicht rezitierte und mich bat, es zu wiederholen, was mir allerdings nicht gelang. Dann bin ich eingeschlafen.
    In kleinen Grüppchen verließ einer nach dem anderen das Haus, mit Ausnahme zweier Schmuggler. Auch der nette Mann mit den großen Händen ging fort. Ich wurde noch kränker, so dass ich an einige Tage gar keine Erinnerung mehr habe. Ich erinnere mich nur noch daran, wie es war, regelrecht zu glühen, an die Angst zu fallen, ins Bodenlose zu stürzen, ohne mich irgendwo festhalten zu können. Ich war so krank, dass ich mich kaum noch rühren konnte. Irgendjemand hatte Zement über meine Beine und Arme gegossen.
    Eine Woche lang aß ich nur Wassermelonen. Ich hatte Durst, solchen Durst! Ich hätte ununterbrochen trinken können, um jenen Brand zu löschen, den die Krankheit in meiner Kehle entfacht hatte.
    Hier, nimm das.
    Was ist das?
    Mach den Mund auf. So. Jetzt trinken und schlucken.
    Was ist das?
    Bleib liegen. Entspann dich.
    Die Schlepper konnten mich selbstverständlich nicht ins Krankenhaus oder zu einem Arzt bringen. Das ist das größte Problem als illegaler Einwanderer: Man ist illegal, auch wenn man ernsthaft krank ist und Hilfe braucht. Sie gaben mir Arzneimittel, die sie im Haus hatten. Kleine weiße Tabletten, die ich mit Wasser einnehmen sollte. Keine Ahnung, was das für ein Zeug war – ich konnte keine Fragen stellen, schließlich war ich ihnen als Kranker, Schuldner und Afghane gleich mehrfach ausgeliefert. Auf jeden Fall wurde ich am Ende wieder gesund. Nach einer Woche ging es mir besser. Eines Morgens befahl uns der Schlepper, unsere Sachen zu packen – worüber ich lachen musste, da wir nicht das Geringste besaßen – und ihm zu folgen.
    Wir gingen zum Bahnhof von Kerman.
    Es war das erste Mal, dass ich tagsüber durch iranische Straßen lief. Ich weiß noch, wie ich dachte, dass die Welt längst nicht so abwechslungsreich und geheimnisvoll ist, wie ich mir das in Nawa immer vorgestellt habe.
    Der Bahnhof bestand aus einem länglichen, niedrigen Gebäude mit einer Treppe, einem Säulengang und einem Schild auf dem Dach, das zum Teil blau, zum Teil transparent war. Darauf stand in Gelb »Kerman Railway Station« und darunter dasselbe in Farsi, allerdings in Rot. Wir wurden von zwei belutschischen Schleppern erwartet, Partner unseres Schleppers, dessen Namen ich lieber nicht nennen will. Eine Gruppe Afghanen, die ich am ersten Tag in besagtem Haus gesehen hatte, war auch da.
    Wir stiegen an verschiedenen Türen zu. Der Zug fuhr nach Qom. Das zwischen Isfahan und Teheran gelegene Qom ist eine bedeutende Stadt. Für schiitische Muslime ist es sogar eine heilige Stadt, weil dort die Grabmoschee mit dem Schrein von Fatima al-Masuma liegt. Ich befand mich jetzt auf schiitischem Boden. Und obwohl mir das im

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