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Im Meer schwimmen Krokodile

Titel: Im Meer schwimmen Krokodile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Geda
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geklemmt. Ich sah aus dem Fenster. Die tief stehende, untergehende Sonne beschien das Wasser, und man sah zig kleine Felseninseln im Gegenlicht. Und auf den Inseln – sowohl an Land wie in der Luft – kleine Punkte. Tausende von kleinen Punkten.
    Was ist das?
    Das sind Vögel.
    Vögel?
    Zugvögel. Das hat mir der Mann erzählt, der vor uns sitzt. Stimmt’s, das sind doch Vögel oder?, fragte er und tippte ihm auf die Schulter.
    Flamingos, Pelikane und viele andere Arten, zählte der Mann vor uns auf. Auf einer dieser Inseln liegt Hülegü Khan begraben, der Neffe Dschingis Khans und Eroberer Bagdads. Sie sind also ausschließlich von Vögeln und Geistern bewohnt. Vielleicht liegt es daran, dass es in dem See keine Fische gibt.
    Es gibt keine Fische?
    Keinen einzigen. Das liegt an dem extrem salzigen Wasser. Es ist nur gut gegen Rheuma.
    Als wir nach Salamas, die letzte iranische Stadt unweit der Berge, kamen, war es dunkel. Man befahl uns aus zusteigen, zusammenzubleiben und leise zu sein. Ohne Taschenlampe oder andere Hilfsmittel liefen wir los.
    Frühmorgens erreichten wir im weißen Licht des Sonnenaufgangs ein kleines Dorf.
    Dort stand eine Hütte, die wir betraten, als gehörte sie uns. Dabei gehörte sie einer Familie und war eine Art Sammelpunkt für Illegale, die über die Berge wollten. Ein Grüppchen war bereits da, und mit der Zeit kamen noch mehr Afghanen. Am Ende waren wir dreißig. Wir hatten Angst. Wir wunderten uns, wie wir zu so vielen unbemerkt die Berge überqueren sollten. Wir fragten nach, bekamen aber keine Antwort. Als wir nicht lockerließen, gab man uns zu verstehen, dass es besser wäre, nicht weiterzufragen, und so blieben wir zwei Tage in diesem Versteck und warteten.
    Am Abend des zweiten Tages hieß es bei Sonnenuntergang, wir sollten uns bereithalten. Wir gingen los, über uns ein Himmel voller Sterne und ein so riesiger Mond, dass man weder Lampen noch Fackeln, noch Eulenaugen brauchte. Man sah hervorragend. Wir liefen eine halbe Stunde durch die Felder, auf kleinen Wegen, die nur der sieht, der sie kennt. Am Ende unserer ersten Aufstiegsetappe tauchte hinter einem großen Felsen eine weitere Gruppe auf. Wir erschraken, und einer schrie, da wären Soldaten. Dabei waren es dreißig Illegale, und wir trauten unseren Augen kaum: Jetzt waren wir bereits zu sechzigst, sechzig Personen, die im Gänsemarsch auf Bergpfaden unterwegs waren. Aber das war noch nicht alles. Eine halbe Stunde später tauchte eine weitere Gruppe auf. Sie hatte dicht zusammengekauert auf uns gewartet. Als wir während einer kurzen Pause mitten in der Nacht nachzählten, waren wir siebenundsechzig Personen.
    Sie trennten uns nach Nationalitäten.
    Außer uns Afghanen – wir waren die Jüngsten – gab es auch Kurden, Pakistani, Iraker und den einen oder anderen Bengalen. Sie trennten uns, um Konflikte so weit wie möglich zu vermeiden. Schließlich liefen wir den ganzen Tag Schulter an Schulter und Ellbogen an Ellbogen nebeneinander her – mit unterschiedlich großen Schritten, aber im gleichen Tempo. Und wenn man sich so wie wir in einer dermaßen angespannten, heiklen Lage befindet, nur wenig zu essen und zu trinken und keine Möglichkeit hat, irgendwo Schutz zu suchen, obwohl es kalt, ja wirklich bitterkalt ist, muss man jederzeit mit Wortgefechten und Raufereien rechnen, vielleicht sogar mit Messerstechereien.
    Nach einer Stunde auf einem schlecht befestigten Pfad – wir hatten soeben die Hälfte des Hanges erklommen –, stellte sich uns ein Hirte mit seinem Hund in den Weg, der sich wie verrückt um sich selbst drehte, um sich in den Schwanz zu beißen. Der Hund, nicht der Hirte. Er wollte mit unserem Anführer sprechen, der nicht lange fackelte und ihm Geld gab, damit er uns nicht verriet. Der Hirte zählte betont langsam das Geld. Dann steckte er es sich unter den Hut und setzte seinen Weg fort.
    Als ich ihn einholte, sah mir der Alte direkt in die Augen, als wollte er mir etwas sagen. Aber ich wusste nicht, was.
    Nachts marschierten wir.
    Tagsüber schliefen wir oder versuchten es zumindest.
    Da uns der Schlepper, also der Cousin unseres Freun des in Teheran, gesagt hatte, dass die Reise drei Tage und drei Nächte dauern würde, wollten wir am Ende des dritten Tages wissen, wann wir den stets gleich weit entfernt wirkenden Gipfel erreichen und mit dem Abstieg in Richtung Türkei beginnen würden. Aber alle fürchteten sich, Fragen zu stellen, so dass jemand ausgelost wurde, und das war ich.
    Ich ging zu

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