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Im Meer schwimmen Krokodile

Titel: Im Meer schwimmen Krokodile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Geda
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aufgeschürft. Anschließend habe ihn die türkische Polizei festgenommen und verprügelt. Als man ihn dann den Iranern übergab, hätten die ihn ebenfalls verprügelt. Von seinem Traum, nach Europa (genauer gesagt nach Schweden) zu gehen, war nichts als ein blutiger Brei übrig geblieben. Er sagte: Ich würde dir ja Geld leihen, damit du fortgehen kannst. Aber ich leihe es dir nicht, weil ich nicht dafür verantwortlich sein will, wenn dir irgendwas passiert. Andere sagten genau dasselbe, aber ich weiß nicht, ob sie es ernst meinten. Vielleicht waren sie auch bloß geizig.
    Doch mir reichte es schon, nur eine einzige gute Nachricht zu hören, der und der hat es geschafft, dem ist es geglückt, der ist in der Türkei/in Griechenland/in London, um wieder neuen Mut zu fassen. Wenn der das geschafft hat, schaffe ich das auch, dachte ich.
    Vier von uns waren fest entschlossen fortzugehen. Dann erfuhren wir, dass auch Farid, ein Junge aus der Fabrik neben uns, vorhatte, Qom zu verlassen. Und nicht nur das: Der Schlepper, an den er sich gewandt hatte, war sein Cousin.
    Diese Gelegenheit wollten wir uns nicht entgehen lassen. Wenn der Schlepper tatsächlich sein Cousin war, konnte man ihm trauen. Und wenn Farid mit uns reiste, würden wir uns ebenfalls mit dem Cousin anfreunden und entsprechend behandelt werden.
    An einem Tag wie jedem anderen packten wir unsere Sachen in einen Stoffbeutel, forderten unseren Lohn ein, verabschiedeten uns vom Fabrikbesitzer und nahmen den Linienbus nach Teheran (wobei wir uns ständig vor Kontrollposten fürchteten). Am Bahnhof trafen wir den Cousin unseres Freundes, der uns bereits erwartete. Er brachte uns mit einem dieser überfüllten Taxibusse zu sich nach Hause.
    Während wir im Esszimmer saßen und einen Chai vor uns hatten, teilte er uns mit, dass wir zwei Tage Zeit hätten, uns etwas Reiseproviant zu beschaffen – platzsparenden, aber nahrhaften Proviant wie Dörrobst, Mandeln und Pistazien. Außerdem sollten wir uns robuste Bergschuhe und warme, regenfeste Kleidung kaufen: Sie müsse unbedingt regenfest sein, betonte er. Darüber hinaus noch etwas bessere Kleidung für Istanbul. Wir konnten dort schließlich nicht in den zerrissenen, stinkenden Lumpen herumlaufen wie auf der Flucht. All das sollten wir kaufen, aber vor allem die Schuhe, darauf legte der Cousin unseres Freundes großen Wert.
    Also klapperten wir die Basare ab, um unsere Besorgun gen zu erledigen, und waren dabei unglaublich eupho risch. Nach unserer Rückkehr zeigten wir dem Schlepper die Schuhe, damit er sie guthieß. Er hob sie hoch, kontrollierte die Nähte, bog die Sohle, sah sie sich von innen und außen sorgfältig an und sagte dann, Ja, die seien prima.
    Aber das stimmte nicht.
    Er hat es nur gut gemeint, da bin ich mir sicher, wegen seines Cousins. Er hat es gut gemeint, weil er zu wissen glaubte, wie unsere Wanderung durch die Berge aussehen würde. Aber er hatte nicht die geringste Ahnung, da er nie dort gewesen war. Seine Aufgabe bestand nur darin, uns den anderen zu übergeben. Er war ein Mittelsmann, jemand, den wir nach unserer Ankunft in der Türkei anrufen mussten, damit unsere Freunde in Qom Bescheid wussten, dass wir gut angekommen waren, und den Schleppern das Geld aushändigten.
    Während er die Schuhe ins Licht hielt, das durch das Fenster fiel, sagte er: Ihr werdet drei Tage unterwegs sein. Die Schuhe sind robust genug. Ein wirklich guter Kauf.
    Am nächsten Morgen kam ein Iraner mit dem Taxi. Er brachte uns in ein Haus außerhalb der Stadt, in dem wir warteten. Nach einer Stunde kam ein Bus – der Fahrer war ein Komplize –, in dem Leute saßen, die nicht recht wussten, wo sie hier gelandet waren. Als er hupte, rannten wir hinaus, stiegen ein und sahen uns von lauter verwirrten Gesichtern von Frauen und Kindern umgeben. Es waren auch einige Männer dabei, die zaghaft protestierten, sie wurden allerdings schnell zum Schweigen gebracht.
    Wir nahmen Kurs auf Täbris (ich weiß das, weil ich gefragt habe) und fuhren am Ufer des Urmia sees entlang Richtung Grenze . Der See liegt in der iranischen Provinz West- Aserbaidschan und ist der größte See des Landes. Bei Höchststand ist er hundertvierzig Kilometer lang und fünfzig Kilometer breit.
    Ich war fast eingeschlafen, als mich ein Reisegefährte anstupste und sagte: Schau nur!
    Was denn?, fragte ich, ohne die Augen zu öffnen.
    Der See. Schau nur, der See.
    Ich drehte den Kopf und schlug langsam ein Auge auf, die Hände zwischen die Knie

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