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Im Meer schwimmen Krokodile

Titel: Im Meer schwimmen Krokodile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Geda
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Gemeinde haus.
    Ich aß Brot und Joghurt, genau wie beim Frühstück.
    Ihr habt ganz schön Glück gehabt, gestern Abend, sagte mein Nachbar.
    Jamal versuchte von den Priestern oder Mönchen noch ein Stück Brot zu ergattern, während ich meinen Joghurtbecher ausleckte.
    Wieso?, fragte ich.
    Weil nichts passiert ist.
    Ich hörte auf zu lecken. Wie meinst du das?
    Weil keine Polizei kam, zum Beispiel. Manchmal kommt die Polizei und nimmt alle mit.
    Sie verhaftet sie?
    Nein, sie nehmen uns nur mit und traktieren uns mit Fußtritten. Sie zwingen uns, uns einen anderen Platz zu suchen.
    Wo?
    Wo wir wollen. Damit will man uns nur das Leben schwermachen.
    Aha.
    Aber die Polizisten sind noch nicht alles!, setzte der Junge nach.
    Was denn noch?
    Schlimm sind auch die Männer, die mit Jungen mitgehen.
    Wohin denn?
    Männer, die auf kleine Jungen stehen.
    Echt?
    Ja.
    Abends suchten Jamal und ich die dunkelste und entlegenste Ecke des ganzen Parks auf, um einen möglichst sicheren Schlafplatz zu haben. Auch wenn es nur wenig Sicherheit gibt, wenn man in einem Park übernachten muss.
    Aber das Verrückteste, was ich in jenem Athener Sommer erlebte, im vierten Sommer, nachdem ich mein afghani sches Heimatdorf Nawa verlassen hatte, war die Olympiade beziehungsweise die achtundzwanzigsten Olympischen Spiele: Athens 2004 . Mein Glück und das aller anderen Illegalen, die sich damals in Athen aufhielten, bestand darin, dass viele Schwimmbäder, Straßen, Stadien, Sporthallen und so weiter bis kurz vor Beginn der Spiele noch nicht fertig waren. Deshalb gab es überall großen Bedarf an Schwarzarbeitern, und damit man sich nicht vor der ganzen Welt blamierte, wurden sie sogar von der Polizei in Ruhe gelassen.
    Manchmal sind Migranten die reinste Geheimwaffe.
    Ich wusste gar nicht, was das ist, eine Olympiade. Das erfuhr ich erst, als ich mit anderen afghanischen Jungen zu einem Platz ging, an dem man angeblich Arbeit finden konnte. Ein Auto nahm mich mit und brachte mich zum Olympiastadion. Dort sah ich, dass es mindestens zwei Monate Arbeit für mich gab, und zwar Tag für Tag, selbst samstags und sonntags. Die Arbeit war hervorragend organisiert und wurde altersgemäß verteilt. Ich musste beispielsweise bloß die Bäumchen halten, während andere Löcher aushoben, in die sie schließlich eingesetzt wurden. Abends wurde man bar bezahlt: fünfundvierzig Euro, für mich eine stolze Summe.
    Ich weiß noch, wie sich eines Nachts im Park ein Mann neben Jamal setzte und begann, ihn ganz langsam zu streicheln. Es war ein bärtiger Grieche mit einem grellbunten Hemd. Da versetzte mir Jamal einen Tritt gegen das Schienbein, um mich zu wecken (wir schliefen nebeneinander, um uns gegenseitig zu beschützen). Hör mal, Ena, sagte er. Da ist einer, der mich streichelt.
    Wie meinst du das?, fragte ich.
    Keine Ahnung. Er streichelt mich, aber ich verstehe nicht, warum.
    Belästigt er dich?
    Nein, er streichelt mich nur. Er streicht mir übers Haar.
    Da fiel mir wieder ein, was der Typ in der Mensa der orthodoxen Kirche erzählt hatte. Wir standen abrupt auf und rannten zu den Älteren. Der Mann mit dem Bart folgte uns, bis er die größeren Jungen sah und dass wir auf ihn zeigten. Da zuckte er nur mit den Achseln und verschwand.
    Nach Beginn der Olympischen Spiele gab es keine Arbeit mehr, und wir liefen ganze Vor- und Nachmittage durch die Gegend, ohne zu wissen, was wir sonst tun sollten.
    London, hieß es. Man muss nach London gehen. Nach Norwegen, wenn man das schafft. Oder nach Italien, warum auch nicht? Und wenn man nach Italien geht, muss man nach Rom gehen, und in Rom zum Ostiense-Bahnhof. Dort gibt es einen Park mit einer Pyramide, an der sich die Afghanen treffen. Außerdem lebte ein Junge, den ich kannte, in Italien. Einer aus meinem Heimatdorf, einer aus Nawa. Er hieß Payam. Ich wusste nicht, in welche Stadt er gegangen war, ja ich hatte nicht einmal eine Telefonnummer. Aber er war in Italien, und wenn er in Italien war, konnte ich ihn dort vielleicht ausfindig machen. Das würde nicht leicht sein, aber wer weiß.
    Ich gehe weg, sagte ich eines Tages zu Jamal. Es waren noch zwei andere Freunde dabei, und wir aßen gerade ein Eis. Ich habe was gespart, sagte ich. Ich kann mir eine Fahrkarte bis nach Korinth oder Patras kaufen und dort versuchen, mich in einen Lastwagen zu schmuggeln.
    Ich kenne einen Schlepper, der dir vielleicht helfen kann, sagte einer der Jungen.
    Ehrlich?
    Klar, sagte er. Aber vorher solltest du versuchen,

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