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Im Meer schwimmen Krokodile

Titel: Im Meer schwimmen Krokodile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Geda
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Zwischenzeit nicht geschafft hatten, irgendwas zum Anziehen aufzutreiben – kurze Hosen, T-Shirts, was weiß denn ich, ein Paar Schuhe vielleicht –, aber nichts da, von wegen!
    Etwas hatte ich auf dem Revier allerdings doch getan (als Illegaler muss man wirklich jede Gelegenheit nutzen): Ich hatte mir die große an der Wand hängende Karte von der Insel genau angesehen. Der Ort, in dem wir uns befanden, war rot markiert und Mytilini blau. Von Mytilini aus schiffte man sich nach Athen ein. In einem Tagesmarsch über Felder und Landstraßen konnten wir es trotz unserer schmerzenden Füße vielleicht bis dorthin schaffen.
    Wir kamen an eine Straße. Es herrschte eine Hitze wie im Backofen, wir schwitzten schon im Stehen. Soltan beschwerte sich – und Hussein Alì war anscheinend die Puste ausgegangen, denn sonst hätte er sich bestimmt ebenfalls beklagt. Stattdessen stellte er sich immer wieder halbnackt an die Straße und hielt den Daumen raus. Ich zog ihn weg und sagte, was machst du da? Die rufen bloß wieder die Polizei! Aber er hörte nicht auf mich.
    Bleib stehen, ich flehe dich an!, sagte er. Warten wir, bis uns jemand mitnimmt.
    Wenn du so weitermachst, nimmt dich die Polizei mit, entgegnete ich. Du wirst schon sehen!
    Ich wollte den Teufel wirklich nicht an die Wand malen, im Gegenteil! Es lag in meinem ureigensten Interesse, gemeinsam weiterzureisen, damit wir uns gegenseitig helfen konnten. Aber sie hatten es sich nun mal in den Kopf gesetzt, dass sie müde waren. Sie wollten sich lieber von einem Transporter mitnehmen lassen, so dass ich mich irgendwann absonderte und vorausging.
    Am Straßenrand gab es einen kleinen Laden und eine Tankstelle, rechts davon eine verrostete alte Telefonzelle, die mehr oder weniger von den Zweigen eines Baumes verdeckt wurde. Ich betrat sie, griff nach dem Hörer und tat so, als würde ich telefonieren, wobei ich meine Gefährten nicht aus den Augen ließ.
    Als das Polizeiauto kam – mit Blaulicht, aber ohne Sirene –, überlegte ich kurz, die Telefonzelle zu verlassen und haut ab, haut ab! zu rufen. Aber ich war einfach nicht schnell genug. Ich duckte mich und musste mitansehen, wie die Jungs losrannten, eingeholt, festgenommen und mit Schlagstöcken traktiert wurden. Ich kniete vollkom men hilflos in meinem Versteck und starrte durch die schmutzigen Scheiben. Ich konnte nur beten, dass nie mand auf die Idee käme zu telefonieren.
    Gleich nachdem das Polizeiauto mit quietschenden Reifen verschwunden war, verließ ich die Telefonzelle. Hinter der Tankstelle bog ich rechts ab, allerdings nicht ohne mich vorher zu versichern, dass da niemand war. Keuchend rannte ich einen sandigen, verlassenen Feldweg entlang. Ich rannte und rannte, ohne zu wissen, wohin – so lange, bis meine Lunge brannte und ich mich auf dem Boden ausstreckte, um wieder zu Atem zu kommen. Anschließend rappelte ich mich wieder auf und setzte meinen Weg fort. Nach einer halben Stunde führte der Feldweg an einem Hof vorbei. Er gehörte zu einem Haus, das von einer niedrigen Mauer umgeben war, und in der Mitte des Hofes stand ein großer Baum. Ich konnte niemanden entdeckten und kletterte über die Mauer. Da war ein Hund, aber er war angebunden. Als er mich bemerkte, begann er zu bellen, woraufhin ich mich hinter einem dicken Zweig versteckte.
    Ich muss müde gewesen sein, denn ich schlief ein.
    Na, und ob du müde warst, Enaiat!
    Aber es war nicht allein die Müdigkeit. Dieser Ort hatte so was Beruhigendes.
    Was denn?
    Das kann ich dir nicht erklären. Manche Dinge spürt man einfach.
    Irgendwann kam dann diese alte Dame, die dort wohnte. Sie weckte mich, aber ganz sanft. Ich sprang blitzschnell auf und wollte schon davonlaufen, als sie mir ein Zeichen gab, ihr ins Haus zu folgen. Sie gab mir etwas Leckeres zu essen, Gemüse und noch etwas, an das ich mich nicht mehr erinnere. Sie ließ mich duschen. Sie gab mir richtig gute Kleider: ein blau gestreiftes Hemd, Jeans und ein Paar weiße Turnschuhe. Es war unglaublich, dass sie solche Sachen zu Hause hatte, genau in meiner Größe. Keine Ahnung, wem die gehörten, wahrscheinlich einem Enkel.
    Sie redete sehr viel, diese Dame, und zwar ohne Punkt und Komma. Auf Griechisch und auf Englisch, wovon ich allerdings kaum etwas verstand. Wenn ich sah, dass sie lächelte, sagte ich: Good, good . Wenn sie ein ernstes Gesicht machte, machte ich ebenfalls ein ernstes Gesicht und sagte mit wildem Kopfschütteln: No, no.
    Nachdem ich geduscht hatte, brachte mich die

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