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Im Meer schwimmen Krokodile

Titel: Im Meer schwimmen Krokodile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Geda
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wahrscheinlich Glück gehabt. Quatsch, ich habe wirklich Glück gehabt!
    Wir setzten uns nebeneinander und unterhielten uns während der gesamten Überfahrt. Er hatte vier Tage in Mytilini verbracht, ohne dass es ihm gelungen war, sich eine Fahrkarte nach Athen zu beschaffen. Schließlich hatte er jemandem, der gut Englisch sprach, achtzig Euro gegeben, damit er sie für ihn kaufte. Aber das Schlimmste war, dass ihn die Polizei irgendwann geschnappt und dabei leider seine Fingerabdrücke genommen hatte.
    Am nächsten Morgen erreichten wir Athen. Einige Passagiere rannten in den Bauch der Fähre, um ihre Autos zu holen, andere umarmten Verwandte auf der letzten Treppenstufe, und wieder andere luden Koffer in Taxis und fädelten sich in den Verkehr ein. Am Hafen herrschte ein großes Hallo und überschwängliches Schulterklopfen. Jamal und ich wurden von niemandem erwartet und wussten nicht, wohin. Aber das bedrückte uns nicht weiter. Es ist nur komisch, lauter entspannte, gut gelaunte, selbstbewusste Menschen zu sehen, wenn man sich selbst völlig verloren vorkommt. Aber so ist das nun mal.
    Lass uns was frühstücken!, sagte Jamal. Trinken wir einen Kaffee.
    Ich besaß noch die zwölf Euro Wechselgeld, und auch er hatte noch etwas Kleingeld. Im Café, das wir schließlich betraten, reichte man uns zwei riesige Becher mit Filterkaffee, der mit dem Strohhalm getrunken wurde. Ich nahm einen Schluck, aber er schmeckte widerlich. Den trink ich nicht!, sagte ich.
    Dann trink ihn halt nicht, sagte Jamal. Aber behalte ihn in der Hand.
    In der Hand?
    So wie die Touristen. Wir gehen mit den Bechern in der Hand spazieren, denn so machen es die Touristen.
    Es war Nachmittag, als wir uns in die Stadt hineinwagten. Wir nahmen die U-Bahn. Alle vier Stationen stiegen wir aus und sahen nach, wo wir uns befanden. Dann gingen wir wieder nach unten und fuhren in dieselbe Richtung weiter. Nach dreimaligem Rauf und Runter kamen wir an die Oberfläche und entdeckten einen großen Park mit vielen Leuten. Es gab ein Konzert, ein Freiluftkonzert. Es fand im Dikastirion-Park statt, wenn ich mich richtig erinnere.
    Wenn man nicht weiß, was man tun soll, mischt man sich am besten unter die Leute. Und dazu gehörten auch welche, die Afghanisch sprachen. Wir folgten ihren Stimmen und fanden eine Gruppe mehr oder weniger gleichaltriger Jungen, manche waren auch schon etwas älter: Sie spielten Fußball. Hier nur ein Tipp: Wer jemals als Illegaler leben muss, sollte sich einen Park suchen, denn dort entdeckt man immer etwas Tolles.
    Als es Abend wurde, warteten wir, dass die Jungen nach Hause gingen. Wir hatten vor, sie um ihre Gastfreundschaft und um etwas zu essen zu bitten, denn beim Fußballspielen hatten wir uns angefreundet. Aber bei Einbruch der Dunkelheit sahen wir, wie einer von ihnen unter einen Baum kroch und einen Pappkarton herauszog. Ein anderer tat genau dasselbe und anschließend noch ein anderer. Tja, ihr Zuhause war der Park. Aber wir hatten Hunger, wie das eben so ist, wenn man seit Stunden nichts gegessen hat.
    Gibt es hier irgendwo ein afghanisches Restaurant, wo man uns vielleicht Essen schenkt?, fragten wir.
    Hört mal, wir sind hier nicht in Kabul! Wir sind in Griechenland. In Athen.
    Trotzdem, danke.
    Der Park war ihr Zuhause, und er wurde auch unser Zuhause. Morgens standen wir schon sehr früh auf, so gegen fünf. Jemand erzählte uns von einer Kirche, wo man Frühstück bekam. Wir gingen hin, und ich nahm mir Brot und Joghurt. Fürs Mittagessen gab es eine andere Kirche. Aber dort hatten die Priester Bibeln in allen Sprachen aus gelegt – auch in der meinen –, und zwar so, dass man sie sofort sah, direkt neben dem Eingang. Vor dem Essen musste man eine Seite daraus lesen, sonst gaben sie einem nichts.
    Bevor ich mich zwingen lasse, in der Bibel zu lesen, bloß um etwas zu essen zu bekommen, verhungere ich lieber, dachte ich in einer Aufwallung von Stolz.
    Nur dass sich mein Magen nach einer Weile deutlich bemerkbar machte, deutlicher als mein Stolz. Dieser verdammte Hunger! Ich lief eine halbe Stunde auf und ab und bemühte mich, der Versuchung zu widerstehen – so lange, bis ich das Gefühl hatte, mir würde der Bauchnabel mit einem Flaschenöffner geöffnet. Da trat ich näher und tat so, als würde ich lesen. Ich blieb vor der Bibel in meiner Sprache stehen und starrte so lange auf eine Seite, wie ich es für angemessen hielt. Ich sorgte dafür, dass ich dabei ge sehen wurde. Anschließend betrat auch ich das

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