Im Mond des Raben
Sabrine, und der Abscheu, mit dem sie seinen Namen aussprach, war ein perfektes Echo dessen, der Vericas Herz bewegte.
»Aye«, bestätigte sie. »Der König zwang ihn, sein Amt niederzulegen, damit der Stellvertreter des Sinclair-Lairds es übernehmen konnte.«
»Barr war früher der Stellvertreter des Clan-Chefs der Sinclairs?« Sabrine klang, als fände sie das äußerst seltsam.
Doch das war allen so ergangen, so sehr sich der Clan im Stillen auch über die Wende freute. Allerdings fragte jedes einzelne Mitglied sich auch, wie lange ihr Glück anhalten konnte. Wie lange es dauern würde, bis Barr und sein Stellvertreter Earc auf die gleiche Weise endeten wie Vericas Vater.
Der Gedanke, dass Earc sterben könnte, war Verica unerträglich, auch wenn sie sich das nicht eingestehen wollte. Denn dieser Mann war nichts für sie.
Sie nickte, als sie durch das Zimmer ging und aufräumte. »So ist es.«
»Und er ist der allerallerbeste Krieger.« Die Ehrfurcht in Brigits Stimme war diesmal unüberhörbar.
»Kein Wunder bei seiner Größe!« Sabrines Lob klang eher widerstrebend.
Ihre Reaktion war ganz anders als die der Frauen des Donegal-Clans, die alle ihr Bestes taten, um die Aufmerksamkeit des neuen Lairds zu erlangen. Nicht, dass es ihnen bisher etwas genützt hätte. Er hatte nicht die kleinste Vorliebe für eine unter ihnen gezeigt, sondern sich voll und ganz darauf konzentriert, die Verteidigungsanlagen ihrer Festung zu verbessern.
»Aber er ist auch schnell«, sagte Brigit mit sichtlicher Begeisterung. »Schneller als irgendein anderer unserer Krieger.«
»Er ist jetzt auch unser Krieger.«
»Doch er erlaubt Rowland zu bleiben.« Brigits Ansicht über diesen Sachverhalt musste nicht näher erläutert werden; ihr Tonfall und Gesichtsausdruck waren aufschlussreich genug.
Verica seufzte. Der neue Laird merkte nicht, was für eine hinterhältige Schlange bei jeder Mahlzeit an seiner Tafel saß. Was nur die Möglichkeit erhöhte, dass Barr das gleiche Schicksal erleiden würde wie ihr Vater. Ihre Mutter hatte ihren Vater gewarnt, doch leider hatte er sich für unbesiegbar gehalten.
Durch seinen Tod waren seine Raben-Frau und der Rest ihres Clans ungeschützt vor Rowlands Niederträchtigkeit zurückgeblieben.
So wie es auch nach Barrs unvermeidlichem Ableben sein würde.
»Wurde Barr ein Grund gegeben, diesen Rowland zu verbannen?«, fragte Sabrine.
»Nein.«
»Ihr habt nicht mit ihm über diese Angelegenheit gesprochen?«
»Ich habe keinen Beweis für die Anschuldigungen, die ich nur zu gerne vorbringen würde.«
Beide sahen Brigit an. Die Mutter des Mädchens hatte mit Sicherheit Beweise für die Schlechtigkeit des Mannes, aber sie müsste auch bereit sein, vorzutreten und sie dem neuen Clan-Chef vorzulegen.
»Ich kann es anderen Frauen nicht zum Vorwurf machen, dass sie keine Anklage erheben wollen«, sagte Verica. »Denn sollte Laird Barr irgendetwas zustoßen, würden sie niemanden mehr haben, der sie vor Rowlands Zorn beschützt.«
»Eine Frau muss in der Lage sein, sich selbst zu schützen.« Die anderen sahen Sabrine verwundert an, denn sie klang, als wäre es ihr völlig ernst.
»Wie?«, fragte Brigit mit lebhaftem Interesse in den dunklen Augen.
»Lernen die Frauen eures Clans denn nicht zu kämpfen?«, entgegnete Sabrine mit unverhohlenem Erstaunen.
»Nein. Frauen sind zu schwach dazu«, sagte Brigit und gab damit eine der typischen Redewendungen Rowlands wieder.
»Das ist ja lächerlich!«
»Wieso? Könnt Ihr denn kämpfen?«, wollte Brigit von ihrer Patientin wissen.
Sabrine öffnete den Mund und schloss ihn wieder, als wäre sie von Zweifeln hin- und hergerissen.
»Ich werde es niemandem erzählen«, versprach Brigit. »Und Verica auch nicht. Sie kann sehr gut Geheimnisse bewahren.«
Sabrine sah die Heilerin prüfend an.
»Besser, als mein Lehrling weiß.« Vogel-Gestaltwandler mussten Geheimnisse bewahren können. Und Vericas besondere Veranlagung, die es ihr ermöglichte, sich sogar in zwei Tierarten zu verwandeln, würde ihr den Tod bringen, falls sie je bekannt würde.
Nach kurzem Überlegen nickte Sabrine.
»Ist es wahr, dass Ihr kämpfen könnt?«, hakte Brigit aufgeregt nach. »Und würdet Ihr es mir beibringen?«
Wieder erschien dieser gequälte, unschlüssige Blick in Sabrines Augen.
»Vielleicht können wir einmal nachmittags in den Wald hinausgehen, wenn Euer Arm verheilt ist«, warf Verica ein, um Sabrine einen Ausweg anzubieten. Sie wusste nur zu gut, wie
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