Im Mond des Raben
Humor verließ Earc jedoch genauso schnell wieder, wie er gekommen war, denn diese Vorstellung gefiel ihm ganz und gar nicht.
Verica öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch es kam kein Ton über ihre Lippen. Ein seltsamer Ausdruck erschien auf ihrem Gesicht.
Circins Lachen lockerte die plötzlich angespannte Atmosphäre in der kleinen Kate. »Für sie bist du ein Familienangehöriger, oder zumindest fast. Sie schlägt mich normalerweise nicht vor einem anderen.«
»Ich schlage dich überhaupt nicht«, sagte Verica und strafte sogleich ihre entrüsteten Worte Lügen, indem sie ihren Bruder in den Arm knuffte.
Circin und Earc lachten, und Verica errötete vor Verlegenheit.
»Wir sollten schlafen gehen.« Sie tat ihr Bestes, um herrisch zu klingen, doch die Art und Weise, wie sie die Falten ihres Kleides befingerte, offenbarte Earc nicht nur, was sie wirklich dachte oder fühlte, sondern bezauberte ihn auch.
»Dann betrachtest du mich also als einen dir nahestehenden Freund?«, beharrte er. Earc wusste, welche Art von Nähe er mit ihr teilen wollte, und die hatte nichts, aber auch gar nichts mit Freundschaft zu tun.
Das leichte Beben ihrer zarten Nasenflügel ließ darauf schließen, dass sie sein Begehren witterte. Auch Circin hatte Earcs wachsendes Verlangen nach seiner Schwester wahrnehmen können, doch anstatt deswegen beunruhigt zu wirken wie sie oder empört, wie Earc es bei seiner eigenen Schwester vielleicht wäre, schien Circin eher nachdenklich zu sein. Und Earc war sich gar nicht sicher, ob er das nun vorzog oder nicht.
Er wusste, worüber er im umgekehrten Fall nachdenken würde. Ehe. Paarung. Beständigkeit. Ob der andere Krieger dazu bereit war oder nicht.
Mit einem Stirnrunzeln blickte Verica zwischen ihnen hin und her. »Ihr könnt tun, was ihr wollt, aber ich gehe zu Bett.«
»Du hast meine Frage nicht beantwortet.« Earc hielt sie am Arm zurück, als sie an ihm vorbeigehen wollte.
Die Zeit schien sich zu verlangsamen und dann völlig stehen zu bleiben, als eine unsichtbare Kraft zwischen ihnen zum Ausbruch kam, die das Blut in seinen Lenden zum Pochen brachte und ihm den Atem stocken ließ. Verica zuckte zusammen und geriet ins Schwanken. Sie taumelte, aber mehr auf ihn zu als von ihm weg.
Ihre Lippen teilten sich einladend, und der Duft ihres Begehrens steigerte sein Verlangen zu einem scharfen Schmerz. Doch da war auch noch ein anderer Duft neben dem ihrer Wölfin, der ihn flutartig überschwemmte und schier trunken vor Begierde machte.
»Verica!« Circins fast panischer Ausruf durchdrang den zunehmenden Nebel ihrer Leidenschaft. »Was tust du?«
Sie fuhr zurück. Ihr Gesicht wurde schreckensbleich, und sie starrte Earc an, als wäre ihm ein zweiter Kopf gewachsen – oder als hätte er sich vor ihren Augen in Rowland verwandelt. »Ich …«
»Du musst schlafen gehen.« Zum ersten Mal klang Circin wie ein Mann, der eines Tages Laird sein würde.
Sie nickte, und ihre schönen Augen verrieten eine Furcht und Qual, die Earc nicht verstehen konnte. Denn egal, wie sehr sie sich in ihren leidenschaftlichen Gefühlen verloren hatten, wäre er ihr doch nie zu nahegetreten, solange ihr Bruder mit ihnen im selben Zimmer war.
Ihre Reaktion war also weitaus heftiger, als die Situation rechtfertigte.
War sie wirklich so beunruhigt über die Vorstellung, mit ihm zusammen zu sein?
Auch der Rest von Furcht in Circins Augen stand in keinem Verhältnis zur Situation.
»Eines Tages wird sie einen Gefährten nehmen.«
Circin nickte grimmig. »Ich hoffe nur, dass er ihr Vertrauen und ihre Zuneigung verdient.«
Da dies etwas war, was sich jeder Bruder wünschen sollte, verzichtete Earc auf eine Antwort. Stattdessen legte er im Kamin Holz nach und sicherte das Feuer für die Nacht, bevor er und Circin sich, in ihre Plaids gehüllt, an der Tür zum Schlafen niederlegten.
Kapitel Acht
B arr erwachte mit seiner neuen Gefährtin in den Armen.
Der Duft ihrer Andersartigkeit war stark und zu einem Teil von ihm geworden, von dem er das Gefühl hatte, dass er ihn nicht mehr würde missen können. Sie passte so gut zu ihm, dass sie sich aneinanderfügten wie zwei Hälften eines Ganzen. Obgleich sie schlank und feingliedrig war, war sie ein bisschen größer als die meisten Frauen, was sie gerade richtig für ihn machte. Und sie schlief an seinen Körper geschmiegt, als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes getan.
Barr glaubte nicht, dass sie sehr viel jünger war als er und daher über das Alter
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