Im Mond des Raben
hinauszuzögern.
Pater Thomas holte tief Luft und ließ sie langsam wieder entweichen. Dann schluckte er, räusperte sich und begann endlich zu sprechen. Er sagte ein paar Worte über die Ehe und darüber, wie geehrt sich alle fühlen sollten, an der Zeremonie teilzunehmen, die zwei Leben aneinanderband wie eine sehr fest geflochtene Kordel. Was für ein merkwürdiger, aber auch seltsam anrührender Vergleich!, dachte Sabrine.
Der Priester forderte die Versammlung auf, ein Kirchenlied mit ihm zu singen, und Sabrine war völlig schockiert, als die Anwesenden tatsächlich seiner Bitte nachkamen. Hohe Kinderstimmen vermischten sich mit den trällernden der Älteren und dem tiefen Bariton der Krieger. Die hellen Frauenstimmen verwoben sich mit den anderen wie die Fäden eines Wandbehangs und machten die gemeinschaftliche Musik schön und ergreifend. Egal, wie viel Hässlichkeit dieser Clan auch in sich bergen mochte, er enthielt noch mehr. Sehr viel mehr, als Sabrine für möglich gehalten hatte, bevor sie hierhergekommen war.
Die Wölfe waren nicht alle üble Mörder und die Menschen keine Dummköpfe, weil sie sie bei sich leben ließen. Diese Gruppe, die hier so freudig Kirchenlieder sang, war eine Familie, im wahrsten Sinne des Wortes.
Während einige zweifellos noch immer den Verlust ihres früheren Lairds bedauerten, waren die meisten sichtlich zufrieden damit, nach vorn zu schauen, und alle waren bereit, die Hochzeit ihrer gutherzigen und mitfühlenden Heilerin zu feiern.
Die Verbindung dieser Leute zueinander war genauso stark wie die der Éan, und damit hatte Sabrine nun wirklich nicht gerechnet. Die Faol waren in ihrer Vorstellung stets Ungeheuer gewesen, und jetzt sah sie, dass sie sich geirrt hatte. Doch auch wenn die meisten von ihnen gut waren – es gab unter ihnen immer noch zu viele, denen man nicht trauen konnte.
Als das Lied endete, lächelte Pater Thomas. »Das war von himmlischer Schönheit, und niemand wird mich je von etwas anderem überzeugen.«
Verica lächelte, und Sabrine war froh, dass die Worte des Priesters die andere Raben-Frau erfreut hatten. Nun senkte der alte Mann den Kopf und betete in einer ihr fremden Sprache, und obschon Sabrine kein Wort davon verstehen konnte, erkannte sie die ehrfürchtige Haltung.
Sie hatte die Augen nicht geschlossen und den Kopf gesenkt wie viele andere um sie herum. Deswegen fiel ihr der alte Mann auf, der das Hochzeitspaar so hasserfüllt ansah. Es war der Mann, der schon beim Abendbrot so übellaunig gewesen war. Wirp wurde er genannt, wenn sie sich recht entsann.
Seine Augen weiteten sich, als ihre Blicke sich begegneten und sie ihren nicht senkte. In einer stummen Warnung an ihn ließ Sabrine die Kriegerin in ihr in ihrem Gesichtsausdruck zutage treten. Wirp sollte gar nicht erst auf die Idee kommen, das Glück ihrer Freundin zu trüben!
Sein Blick verfinsterte sich noch mehr, doch diesmal war er voll und ganz auf sie gerichtet. Kühl erwiderte sie ihn und ließ den Alten sehen, dass sein Hass sie nicht erschreckte. Sie hatte ihr Leben lang geglaubt, alle Faol empfänden tödlichen Hass auf sie und ihresgleichen. Die Erfahrung, dass einige ihr durchaus wohlgesonnen waren, ließ die Feindseligkeit dieses Mannes kleinkariert und unwichtig erscheinen. Sie hatte jedenfalls nicht die Macht, sie, Sabrine, zu verletzen.
Das Gleiche traf jedoch nicht auch auf Verica zu; dessen war Sabrine sich ganz sicher. Die Heilerin war nicht immun gegen die Gehässigkeiten ihres Clans, und Sabrine hatte nicht vor, tatenlos mitanzusehen, wie ein verbitterter alter Mann ihre Freundin unglücklich machte.
Für einen flüchtigen Moment umgab sich die von königlichem Geblüt abstammende Kriegerin der Éan mit dem Bild eines goldenen Drachen, dem uralten Vorfahren ihres Volkes.
Drachen-Gestaltwandler bevölkerten die Luft heute nicht mehr, doch sie waren bei den Éan nicht in Vergessenheit geraten wie bei den Faol, die die mächtigen Bestien als bloße Mythen abtaten. Ähnlich wie das Volk der Éan, das von so vielen der Faol für einen Mythos gehalten wurde.
Aber nicht von diesem finster dreinblickenden Mann hier.
Sabrine spürte, dass er sich über die Existenz der Vogel-Gestaltwandler im Klaren war und sie auch aus tiefster Seele hasste. Im Moment war davon allerdings nichts mehr zu merken, denn er war viel zu sehr damit beschäftigt, sich ans Herz zu greifen und ein paar Schritte zurückzuwanken.
Wirp war leichenblass geworden, doch Sabrine empfand keine
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