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Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx

Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx

Titel: Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Lohmann
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beiläufig, dass auch Swetja kaum fassen konnte, dass der Hüne kämpfen wollte.
    Borija fluchte und fuhr zurück, außer Reichweite der prankenartigen Hände. Seine Männer schrien auf. Einige griffen nach den Waffen, andere wandten sich halb zur Flucht. Fejdor sprang seinem Hauptmann bei und lief um den ockerfarbenen Mann herum. Er holte aus und hieb Kirus mit aller Kraft den Säbel auf den Rücken.
    Der Stahl sang, als wäre er auf Stein niedergegangen. Die Klinge brach. Fassungslos starrte Fejdor auf den Griff in seiner Hand. Da schloss Kirus die Faust um die des jungen Mannes, und im selben Augenblick schlug alles um in ein wildes Gerangel, als sich die Soldaten von allen Seiten auf den dunklen Priester mit dem Körper aus Stein stürzten.
    Swetja wich zur Tür zurück. Sie sah, wie Kirus die Angreifer mit gleichmütiger Ruhe zurückstieß oder sie festhielt und mühelos zu Boden rang. Die weiße Gräfin tanzte wieder auf sie zu, und Swetja erinnerte sich an jenen anderen Ball, an jene andere unheimliche Gestalt, die in einem Ballsaal auf sie zugekommen war. Gehetzt blickte sie sich um und betrachtete den Unrat genauer, der sich an den Wänden aufgehäuft hatte.
    Es war Staub und formloser Dreck, Stücke von rostigem Metall, moderndes Holz und fadenscheinige Fetzen Stoff. Aber dazwischen lagen Totenschädel und gebleichte Knochen, halb unter den anderen Überresten begraben. So viele Knochen …
    Da überwältige Swetja das Grauen, und sie floh hinaus auf den Flur.
    Kopflos lief Swetja durch die Gänge. Sie wollte zum Eingang zurück, doch nach wenigen Biegungen stellte sie fest, dass die Räumlichkeiten ihr gar nicht mehr vertraut vorkamen. Alles sah gleich aus in diesem Haus, die Lampen an den Wänden, die Kristallfiguren überall, aber es gab nichts, woran sie sich konkret erinnern konnte!
    Sie ging langsam weiter und lauschte, ob schon ein Verfolger hinter ihr war. Sie versuchte, sich zurechtzufinden, doch sie musste sich eingestehen, dass sie nicht wusste, in welcher Richtung der Eingang lag.
    Sie lief durch eine weitere Tür und stand in einer großen Küche. Kristallköche überwachten funkelnde Braten an einem erloschenen Feuer, sie rollten Kristallteig aus für durchscheinende Pasteten oder zogen Kristallwecken aus dem Ofen. Swetja traten die Tränen in die Augen, noch bevor ihr Verstand den Grund für die tiefe Traurigkeit erfasst hatte, die sie bei dem Anblick empfand: Die Küche, mitten im Leben eingefroren, zerstörte endgültig das Trugbild, dass sie hier nichts weiter sah als die künstlerische Darstellung einer festlichen Szenerie, naturgetreu aus Kristall gehauen. Es war alles echt! All das Kristall in diesem Haus war erstorbenes Leben, versteinert und verfestigt in toter Pracht. Swetja stand mitten in einer Gruft.
    Sie schluckte. Ein weiterer Gedanke schlich sich in ihren Geist, wie ein Wolf, von dem man wusste, dass er im Dunkel jenseits des sicheren Lagerfeuers lauerte: Wenn all diese Kristallfiguren echte Menschen gewesen waren, was hatte es dann mit jenen gewaltigen Statuen auf sich, mit den furchteinflößenden Fabelwesen, die überall dazwischenstanden?
    Swetja versuchte, den Gedanken abzuschütteln. Sie hatte andere Sorgen. Kirus, den steinernen Mystiker, der gewiss nichts Gutes im Schilde führte. Ob Borija und seine Männer ihn aufhalten konnten?
    Aber Swetja konnte nicht weiter laufen, und sie wusste auch nicht, wohin. Sie brauchte ein Versteck.
    Die Küche war groß, unübersichtlich und voll mit Tischen. Gleich neben Swetja stand eine gläserne Magd, die soeben ein Tablett mit glitzernden Speisen aufnahm. Swetja duckte sich, huschte an ihr vorbei und verkroch sich unter dem Tisch. Dort blieb sie, schöpfte Atem und lauschte.
    Alles blieb ruhig, doch die Statuen allein ließen sie erschauern. Ihr war unheimlich zumute. Ein Ton stieg in der Stille auf, ein kristallenes Singen, das, wie sie wusste, von ihren überreizten Nerven gebildet wurde. Zuckten nicht mitunter die schimmernden Beine der Köche, die sie von ihrem Versteck aus sah? Bewegten sich die Figuren nicht, so langsam und unmerklich fließend wie ein Gletscher?
    Swetja wusste nicht, wie lange sie es in dieser Einsamkeit aushalten konnte, ohne wahnsinnig zu werden. Wenn nur Borija hereinkäme, um zu vermelden, dass die Gefahr vorüber sei!
    Da zuckten die Beine der Magd vor ihr tatsächlich.
    Der klare Kristall füllte sich mit rosigem Leben, das eben noch starre Kleid schwang über den Knien. Swetja hatte das Gefühl, dass

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