Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx
Zeit- und Kalenderangaben und auch viele Zeichen, die sie nicht zu deuten wusste. Weitere Lichtpunkte wanderten über den Boden, vom Astrolabium reflektiert, aber nicht zufällig: Ein Sonnenpunkt lief durch die Mittagsstunde, und das musste die Zeit an der Oberfläche sein.
Das Gebilde war beeindruckend und viel feinsinniger, als irgendein Sterndeuter in Modwinja es zustande gebracht hätte. Swetja betrachtete es fasziniert. Hier konnte sie so viel lernen!
Sie ging von dem Astrolabium zu dem System von Linsen und beugte sich dann zu den Zeichnungen am Boden nieder. Sie erkannte, dass der Lichteinfall auf den angestrahlten Gestirnen auch die Mondphasen erkennen ließ. Für jeden Mond!
Wenn sie die Berechnungen nachvollziehen könnte, die dieser Mechanik zugrunde lagen, dann könnte sie auch die Phasen des geheimnisvollen Styx entschlüsseln! Hier lag das vor ihr, was die Sterndeuter von Modwinja seit Jahrhunderten vergebens zu ergründen suchten.
Swetja war hingerissen.
Aber sie hatte keine Zeit, und die Mechanik lag tief in den Gerätschaften verborgen und würde sich nicht ohne geeignetes Werkzeug und jahrelange Forschung enträtseln lassen.
Enttäuscht wandte sie sich ab.
In dem Raum befanden sich weitere geheimnisvolle Dinge. Es gab ein voll ausgestattetes alchemistisches Labor, mitsamt einem Ofen auf der einen Seite und einem Regal, angefüllt mit Kolben und Phiolen auf der anderen. Es gab Folianten und Schriftrollen, Präparate und exotische Gewänder, und auch Gerätschaften, deren Sinn Swetja nicht verstand. Aber all diese Dinge waren zu Kristall geworden, oder zu Stein, wie so vieles in diesem Haus unter dem Berg. Nur das Astrolabium und alles, was dazugehörte, blieb von dem Zauber unberührt.
Hatte die Magie, die den Rest des Hauses erstarren ließ, also hier ihren Ursprung? Hatte Kirus die Macht der Gestirne genutzt, um seinen Bann zu wirken?
Swetja nahm einen Brocken Kristall aus einem Regal. Sie hämmerte damit auf die Linsen ein, die das Licht verteilten. Glas splitterte, und jeder Schlag fühlte sich so an, als bräche er ihr eigenes Herz. Swetja schlug auf das Metallrohr ein. Der Klang dröhnte durch den Keller wie ein Paukenschlag. Platten sprangen von der Ummantelung ab. Swetja holte Prismen und Spiegel und weitere Linsen aus dem Inneren und warf sie auf den Boden. Ihr war zumute, als würde sie sich selbst verstümmeln. Sie sprang gegen das Astrolabium und riss mit ihrem Körpergewicht die Gestirne herab.
Ihr blutete das Herz, als sie all diese Wunder zerstörte.
Zuletzt wandte sie sich dem Boden zu. Mit einem Steinteller schabte sie Schriftzeichen von den Fliesen. Sie kratzte die Metalldrähte aus den Fugen.
Aber was sie auch tat, Kristall blieb Kristall, Stein blieb Stein, und sie brach den Zauber nicht.
Da hörte sie von der Tür her einen unterdrückten Schreckenslaut. »Kirus – er kommt!« Anisja war totenbleich geworden.
Swetja ließ den Steinteller fallen und rannte zu der Magd. In dem großen Kellerraum, der nebenan lag, konnte sie zwischen zwei langen Regalreihen hindurch bis zum Eingang gegenüber sehen. Von dort kam Kirus auf sie zu. Mit unbewegtem Gesicht stapfte die ockerfarbene Gestalt an den Regalen entlang auf das Labor zu. Mit ihm kam ein Licht, das keinen erkennbaren Ursprung hatte, das aber nach und nach den ganzen Raum erfüllte.
»Bei der gütigen Mutter aller Sterne«, flüsterte Anisja. »Was wird er mit uns machen, wenn er uns hier erwischt?«
Sie tat ein paar Schritte, um in einen der anderen Regalgänge zu fliehen. Swetja hielt sie zurück. »Noch nicht«, murmelte sie.
Die langen Regale teilten den Keller in viele parallele Korridore. Wenn sie jetzt losrannten, konnten sie vielleicht in einem der anderen Gänge an dem Zauberer vorbei und auf den Ausgang zulaufen. Aber Kirus hatte die Halle erst halb durchquert, und sie waren doppelt so weit vom Ausgang entfernt wie er. Er würde einfach kehrtmachen und seinen Vorsprung nutzen, um ihnen den Weg abzuschneiden.
»Eine Magd ist wach. Was für eine Verschwendung.«
Swetja zuckte zusammen, als Kirus’ Stimme durch den Keller hallte. Das Gesicht des steinernen Magiers bewegte sich kaum bei den Worten. Anisja schrie auf und klammerte sich an Swetja fest. Die hatte Mühe, Anisjas Finger von ihrem Ärmel zu lösen.
Kirus fuhr ungerührt fort, während er näher kam: »Da muss mir wohl ein Teil meines Zaubers entglitten sein in der ganzen Aufregung. Aber natürlich werde ich meiner Darija nicht so eine unedle
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