Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx
Lebenskraft zumuten, wenn etwas Besseres zu finden ist. Und du bist doch von reinem Blute, mein Kind, nicht wahr? Keine Sklavin. Walarenblut!«
»Lauf!« Swetja stieß Anisja zur Seite und lief selbst in die andere Richtung, sodass der Zauberer sie nicht beide verfolgen konnte. Kirus war weniger als zehn Schritte entfernt, und er war schwerfällig. Das sollte reichen, um vor ihm beim Ausgang zu sein.
Swetja eilte ein Stück an der Wand entlang bis zur nächsten Regalreihe. Dort bog sie ein. Sie hoffte, dass Anisja dasselbe auf der anderen Seite tat und dass Kirus einen Augenblick lang verwirrt sein würde und sie einen Vorsprung gewannen. Aber sie sah sich nicht um, sie rannte nur.
Links und rechts von ihr ragten die gewaltigen Regale bis zur Kellerdecke auf, voll mit Kristallen und Steinen in allen möglichen Formen. Hinter einem dieser Regale musste ihr Feind sein. Swetja drehte den Kopf und versuchte, zwischen den Regalbrettern hindurchzusehen. Aber die Fächer hatten eine Rückwand, und vielleicht war das besser so, weil eine festere Barriere sie von dem steinernen Priester trennte. Ob er kehrtgemacht hatte, um ihnen den Weg abzuschneiden?
Nein.
Schon hörte sie seine stampfenden Schritte hinter sich. Er war einfach weitergegangen und folgte ihr. Natürlich ihr und nicht Anisja …
Aber das war gut! Jetzt war Kirus hinter ihr, und sie hatte einen Vorsprung. Es musste mit der Hölle zugehen, wenn sie den plumpen Zauberer, der sich selbst in eine Steinfigur verwandelt hatte, nicht abhängen könnte!
Swetja wagte einen Blick über die Schulter zurück. Kirus war hinter ihr. Er lief ohne besondere Hast und streckte doch schon die riesigen Finger nach ihr aus, als könnte er sie jeden Augenblick erreichen. Er war immer noch zehn Schritte von ihr entfernt, genau wie zu dem Zeitpunkt, als sie losgelaufen war. Aber sie hatte den Abstand auch nicht vergrößern können.
Swetja biss die Zähne zusammen und hastete noch schneller weiter.
Doch so rasch sie auch lief, sie konnte ihren Verfolger nicht abschütteln.
Sie fühlte sich wie in einem Albtraum, in dem sie rannte und rannte, und jemand war hinter, der immer nur ging und der doch immer näher kam.
Und Kirus kam näher!
Swetjas Lungen brannten. Das Kleid schlug ihr um die Beine, ein bequemes Reisekleid, aber zum Reiten geschnitten und nicht für den wilden Lauf. Sie hätte längst am Ausgang sein müssen, so groß war der Keller doch gar nicht …
Sie warf einen Blick zurück und glaubte, auf Kirus’ starrem Gesicht ein Lächeln zu erkennen. Er war fast auf Armeslänge heran, und der Weg vor ihr dehnte sich ins Endlose. Die Regale rückten so weit auseinander, dass sie verschwammen.
»Was fliehst du vor mir, mein Kind?«, hörte sie Kirus’ Stimme. Sie glaubte, seinen Atem im Nacken zu spüren. »Weißt du nicht, dass das sinnlos ist an diesem Ort? Dein junges Leben für die Jugend meiner Gräfin, das ist ein gutes Werk. Warum willst du lange leiden, wenn du das Unausweichliche doch nicht verhindern kannst?«
Plötzlich tauchte Anisja vor ihr auf, und der Gang schien kürzer zu werden. Die Magd hatte Swetja und Kirus überholt und stand dicht vor dem Ausgang. Sie hielt einen unförmigen Klumpen Kristall hoch über den Kopf. Er sah aus wie ein kleiner Sack, gefüllt mit winzigen Glaskugeln.
»Spring!«, rief Anisja und schleuderte den Sack. Das Kristall barst auf dem Steinboden, die Kugeln spritzten heraus. Swetja sprang darüber hinweg. Hinter sich hörte sie ein Knacken und Bersten, als Kirus ins Rutschen geriet und gegen ein Regal prallte.
Swetja landete in Anisjas Armen. Die Magd zog sie weiter. Ihr Gesicht war gerötet, sie lachte schrill. »Ihr seid langsam, Fräulein Swetja. Zum Glück habe ich ein Säckchen getrocknete Erbsen gefunden.«
Die beiden jungen Frauen rannten durch die Kellerräume. Swetja sah sich um, aber Kirus tauchte nicht wieder auf. Anisja hatte den Zauber gebrochen, mit dem er sich selbst schneller, Swetja langsamer und den Weg vor ihr länger gemacht hatte.
Anisja lief auf die große Treppe zu, die zur vorderen Halle führte. Doch Swetja hielt sie auf. »Nicht hier. Denselben Weg, den wir gekommen sind. Ich habe einen Plan!«
Sie rannten weiter zu dem kleinen Treppenhaus. Anisjas Hochgefühl schwand dahin. »Gütige Sterne«, sagte sie. »Was habe ich getan? Kirus ist der Günstling der Herrin! Sie wird mich totschlagen.«
»Vergiss deine Herrin«, sagte Swetja. »Glaubst du, sie und Kirus sind noch so menschlich, dass
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