Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx
ihn zugleich mit fremdem Leben füllte und in Bewegung hielt. Und schließlich hatte Darija sich gefühlt wie eine Puppe, wie eingesperrt in ihrem eigenen ausgehöhlten Körper. Und das war erst der Anfang der Ewigkeit gewesen, die sie an diesem Ort verbracht hatte, gefangen in einem endlosen Ball und in einer Musik, die beständiges Glück in ihren Geist zwang wie eine Droge und die doch die Verzweiflung nie ganz vertreiben konnte.
»Eine Puppe«, sagte die Gräfin, »die das Glück eines anderen spielt, bis sie glaubt, es wäre ihr eigenes. Doch dann endet der Traum, und man erkennt, dass es kein Leben war. Kirus’ Traum von der ewigen Jugend hat mir das Leben genommen, das ich hatte, als er mein Schloss und mein ganzes Land in den Schlaf schickte.«
Swetja wusste nicht, warum die Gräfin ihr das alles erzählte. Weil sie die einzige Frau in der Halle war außer ihr? Weil sie Verständnis, Trost oder Vergebung suchte? Weil sie tausend Jahre geschwiegen hatte, gefangen in einem mechanischen Puppenspiel mit einer steinernen Statue, und weil sie darum einfach reden musste und hier die letzte Gelegenheit hatte, die Erfahrungen ihres Lebens noch mit einem anderen Menschen zu teilen?
Swetja war ohnehin die Einzige, die sie verstand, denn mit dem Tod des Zauberers war auch die Gabe der Gräfin verschwunden, genau wie Kirus stets in der Zunge des Gegenübers zu sprechen. Jetzt beherrschte Darija nur mehr jene alte und längst tote Sprache, die auch ihre Diener gebrauchten. Und diese Diener, die wenigen, die durch die Halle streiften, wagten nicht, sich der Gräfin zu nähern, die zwischen den grimmigen Fremden hockte. Vermutlich erkannten sie ihre Herrin nicht einmal, gealtert, wie sie war.
Und Swetja hörte nur zu und schwieg, und als Borija am Ende zurückkehrte mit einem kleinen, runden blauen Edelstein, den er stolz in den Fingern hielt, und sogar mit Anisja in seiner Begleitung, da war die Gräfin Darija längst verstummt und lag tot auf den Stufen, so ausgemergelt, als wäre sie bereits vor langer Zeit gestorben.
Swetja saß bei ihr, mit einem Gefühl im Herzen, als hätte ein wenig von der Leere der Jahrhunderte dort Einzug gehalten, eine steinerne Kälte wie ein Nachhall von Kirus’ Zauber, den sie von diesem Ort mitnehmen würde.
V. T EIL :
D IE H ERRIN DES WEISSEN W ALDES
22.
Gontas stand an den Ufern des Lethe und wusch sich gründlich. Er säuberte auch seine Kleidung. Vor ihm stieg die Sonne aus den Wassern des riesigen Sees, hinter ihm ragten die Tafelberge auf, deren Flanken zum See hin flach abfielen und die zyklopischen, aber verfallen wirkenden Bauten von Kar Ombos trugen. Eine kühle Brise strich über das graue Wasser.
Auch Mart und Tori stiegen zum Ufer hinab. Sie brachten die Dromedare und das Gepäck aus dem Tal der lebenden Steine herbei.
»Hm, das is also der Lethe.« Tori blieb neben Gontas stehen und schaute auf das Wasser. Die Tiere drängten an ihr vorbei und beugten den Kopf.
»Hat keinen guten Ruf, der See«, sagte Mart. »Da kenn ich Geschichten drüber …«
»Ich kenne nur eine.« Gontas zog die Hose wieder an und streifte den Burnus über. Die nassen Sachen klebten auf der Haut und zogen den letzten Rest Wärme aus seinem Körper. Aber es konnte nicht mehr lange dauern, dann würde es heiß werden.
» Die Geschichte«, fuhr Gontas fort. »Sardik, der Herr des Krieges, schlägt an den Wassern des Lethe die Dämonen zurück und bewahrt die Welt für die Menschen.«
»Hm, aye«, sagte Tori. »Das ist eine Geschichte über diesen Ort. Die Gebeine der Dämonen bilden das Ufer, ihr Blut füllt den See. Ich würd nicht davon trinken.«
Mart schnaubte. »Übertreib’s nicht mit dem Aberglauben, du Waschweib. Ein Fluss füllt den See, das hat sogar der Finckelbruder gesagt.«
»Was auch immer«, sagte Gontas. »Blutiger Boden, blutiges Wasser. Ich habe viele solche Orte gesehen und manche davon selbst dazu gemacht. Ich habe keine Angst vor alten Schlachtfeldern. Und das Wasser hier werden wir trinken, denn wir haben kein anderes mehr.«
»Du willst also weiter hinter Tarukan her«, stellte Mart fest. »Wir haben viel Ausrüstung verloren. Und wir haben nur noch ein Wasserfass.«
»Ihr habt den Hexenmeister gehört«, sagte Gontas. »Auf der anderen Seite des Sees liegt der Fluss, der bis zur Zitadelle führt. Da haben wir auf dem ganzen Weg Wasser genug.«
»Mehr Wasser, als wenn wir da zurückgehen, wo wir hergekommen sind«, pflichtete Tori ihm bei.
»Wenn wir Tarukan
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