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Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx

Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx

Titel: Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Lohmann
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ohne diese Hilfe versuchen?«, fragte Swetja. »Können wir das schaffen? Und glaubt Ihr immer noch, dass sich das Wagnis lohnt? Was ist, wenn das, was Ihr am Ende des Weges vorfinden werdet, genauso wenig Euren Erwartungen entspricht wie dieser Ort hier?«
    »Ich glaube nicht.« Borija strich sich nachdenklich über das Kinn. »Ich glaube nicht.«
    Dann sah er mit einem Ruck auf. Er winkte seine Männer mit dem Säbel heran. »Wie auch immer, wir sind nicht umsonst hierhergekommen. Was wir von diesem Mystiker vor allem brauchen, ist nicht seine Weisheit. Zum Glück, denn die hat mich nicht überzeugt. Aber wenn ich meine Quellen richtig deute, liegt in seinem Inneren etwas verborgen, das uns die Tore öffnet. Ein Gegenstand.
    Die Suche danach könnte unappetitlich werden, dewa Swetjana. Gordej und Lewo werden Euch in die Eingangshalle geleiten. Dort solltet Ihr in Sicherheit sein.«
    Erst wollte Swetja widersprechen. Sie wollte dabei sein, wenn Borija etwas Wichtiges zutage förderte. Aber galt das auch, wenn der Hauptmann zu diesem Zweck in den Eingeweiden eines Toten herumwühlte?
    Nein , befand sie. Für diesen Tag hatte sie genug gesehen.
    Auf dem Weg in die Halle war unübersehbar, dass Kirus’ Zauber gebrochen war. Alles veränderte sich. Das Kristall war verschwunden, dafür standen nun wieder Speisen auf hölzernen Tischen, mit silbernen Platten und Besteck. Und Menschen liefen umher, Diener, die eben aus ihrem Zauberschlaf erwacht waren und die sich fragten, wo die Festgesellschaft, wo ihre ganze Welt geblieben war.
    Ein Koch trat ihnen in den Weg. Gordej zog den Säbel und wollte den Mann vertreiben. Swetja fiel ihm in den Arm. Sie versuchte, dem verwirrten Domestiken zu erklären, was geschehen war, in demselben altertümlichen Dialekt, den sie bei Anisja gebraucht hatte. Was überhaupt von ihren Worten ankam, bei diesen aufgeregten Menschen, die ihr Haus plötzlich verändert fanden und Soldaten in fremdartiger Uniform durch die Gänge streifen sahen? Swetja wusste es nicht.
    Ganz verschwunden waren die Fabelwesen. Nur ein paar Diener, die verstört in irgendeinem Winkel kauerten, redeten von Drachen und großen Vögeln, die an ihnen vorbei Richtung Ausgang gezogen seien – die einzige Spur, die von den »Waldgeistern« geblieben war.
    Nach und nach erloschen die Zauberlichter, und es wurde dunkler auf den Gängen. Aber die Diener entzündeten Lampen und Kerzen und Kronleuchter, die den jahrtausendelangen Schlaf so unversehrt überstanden hatten wie alles andere. Es war gut, befand Swetja, dass die Leute auf diese Weise etwas zu tun hatten und eine vertraute Aufgabe fanden.
    Schließlich erreichten sie die Halle mit der großen Treppe, und Swetja sah dort auch die Gräfin Darija wieder. Drei von Borijas Soldaten bewachten sie. Die Hausherrin saß auf der Treppe, den Kopf gesenkt, eine kleine Greisin in strahlendem Ballkleid, gebrechlich, mit stumpfem weißem Haar. Ein trauriger Anblick, und Swetjas Sorge schwand, dass die wahnsinnige Gräfin selbst eine Bedrohung darstellen könnte. Sie wirkte nicht im Geringsten unheimlich, sondern nur wie ein weiteres Opfer von Kirus’ Magie.
    Es war kaum vorstellbar, dass sie noch älter aussehen könnte als jene gespenstische Erscheinung, die verloren durch den Ballsaal getanzt war, mit dem runzligen Gesicht, den strähnigen Haaren, den dürren, altersfleckigen Händen. Aber Gräfin Darija wirkte älter, wie sie da auf der Treppe kauerte. Gebrechlichkeit umhüllte sie wie eine greifbare Aura.
    Swetja setzte sich ebenfalls auf die Stufen, wenn auch ein Stück entfernt von der uralten Frau. Darija hob den Kopf und sah sie an. Ihre Augen waren grau und trübe, und Swetja sah entsetzt, wie der Blick der Gräfin immer stumpfer wurde.
    »Mein Kind«, hauchte die Greisin. »Lass nicht zu, dass dein Leben an dir vorbeizieht wie ein Traum.« Dann erzählte sie Swetja, wie Kirus ihr ewiges Leben versprochen hatte, wie die Jahre an seiner Seite vergangen waren in einem beständigen Rausch, wie sie trotz aller Versprechen gealtert war, auch wenn Kirus allein es nicht zu bemerken schien.
    Denn Kirus hatte sich versteinert und selbst seinen Geist erstarren lassen, um jenen Augenblick seines größten Glücks, das Gefühl der jungen Liebe, festzuhalten für die Ewigkeit. Wie viel Zeit auch verging, was immer sich veränderte – den Zauberer erreichte es nicht mehr. Er hatte sich dem Wandel der Welt entzogen.
    Darija aber hatte gespürt, wie ihr Leib ausbrannte, während Kirus

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