Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx
das war ungewöhnlich. Gontas überlegte unwillkürlich, ob es ein Omen war und was es bedeutete.
Mart kratzte sich jedes Mal und murmelte vor sich hin, wenn er zum Styx aufblickte.
Das Land wurde sandiger. Wellen liefen darüber bis zum Horizont, wie bei einem zu Staub geronnen Meer. Bald türmten die Wellenberge sich höher und höher wie in einem Sturm, und die Wanderer kämpften sich die Dünen hinauf und stiegen auf der anderen Seite wieder hinab.
Mitunter sahen sie den Fluss in der Ferne, aber der Sand schien an ihm zu nagen. Von den hohen Dünenkämmen sah der Lethe oft aus wie eine Reihe von Seen, die sich glitzernd bis zum Horizont erstreckte. Der Verlauf des Stroms war kaum noch auszumachen.
»Wasser und Sand …« Mart erinnerte sich an die Warnungen, die er in den Wirtshäusern von Apis aufgeschnappt hatte. »Wir sollten uns vom Fluss fernhalten in dieser Gegend.«
»Warum, hm?«, fragte Tori. »’s Land da is flacher als hier, du, und ’s wächst auch nichts mehr am Wasser. Wir kommen bestimmt schneller voran da als über die Hubbel.«
»Kann aber sein, dass der Fluss auch mal unter’m Sand fließt und uns verschlingt, wenn wir drauftreten.«
Tori lachte. »Ach, wirst noch ’n Schisser, du, auf deine alten Tage. Hab all die Ammenmärchen über die Wüste genauso gehört wie du. Muss man aber nich alles glauben, was die Fiesel inner Stadt so plappern.« Sie sah Gontas an, während sie sprach.
Mart fuhr auf. »Und du bist so blöde, Musche, dass du dem Knöchler keinen einzigen Tag allein von der Schippe springen könntest, wenn ich nicht da wär und deine Dummheiten glattstüben tät.« Auch er sah Gontas an.
Der zuckte die Achseln. »Das Steinland ist gefährlich. Warum sollten wir etwas riskieren? Den Verlauf des Flusses können wir sogar besser einschätzen, wenn wir Abstand halten.«
»Wir sind nicht mehr im Steinland«, murmelte Tori trotzig. »Is alles Sand, du.«
Sie folgten Gontas und zogen weiterhin über die Dünen, auch wenn sie den Fluss mitunter ganz aus den Augen verloren und im Zickzack nach Osten marschierten, bis sie ihn wiederfanden.
Eines Tages stapften sie keuchend einen besonders hohen Dünenkamm empor. Oben hielten sie erschöpft inne und stellten fest, dass die Landschaft zu ihren Füßen sich erneut verändert hatte. Der Sand lag als glatte Ebene vor ihnen, der Flusslauf war wieder zu einem glitzernden Band geworden, das in der Ferne unter einem weißen Teppich verschwand. Die Umrisse dort wirkten so verschwommen wie unter einem Hitzeflirren, zugleich lag ein Glanz auf der weißen Fläche, der sie so kalt aussehen ließ wie ein Eisfeld.
»Was ist das?«, Gontas beschirmte die Augen.
»Nur so ’ne Luftspiegelung?«, schlug Tori vor. Unsicher kniff sie die Lider zusammen.
»Ich hab mal von Salzfeldern gehört …«, murmelte Mart zögernd.
»Das ist ein Wald«, rief Tori plötzlich aus. »Ich seh Stämme und Baumkronen da drin. ’n verdammter Wald, aber aus Schnee und Eis ist der gewachsen!«
»Wohl kaum, bei dieser Sonne«, erwiderte Gontas. Schnee und Eis kannte er selbst nur aus Geschichten. In den Südlanden sah man so etwas selbst im Winter selten außerhalb der Berge.
»Der weiße Wald …«, flüsterte Mart.
»Was?«, fragte Gontas. Die Worte klangen vertraut, auch wenn er sie nicht gleich einordnen konnte.
Tori schüttelte den Kopf. »Unmöglich, du! ’s liegt an der Küste, das Ding, und da sind wir wohl ’n gutes Stück weit von weg.«
»Der weiße Wald, von dem wir gehört haben, liegt an der Küste. Aber wer sagt, dass es nicht noch einen gibt? Hier draußen am fernsten Ende der Wüste kommt ja nie wer vorbei, der davon erzählen könnte.«
Gontas blickte über das Land hinweg zu der weiß glitzernden Fläche. Es fiel ihm schwer, einen Wald darin zu sehen. »Was ist der weiße Wald?«
»Einer der drei großen Schrecken, die den Landweg nach Modwinja versperren«, erklärte Mart. »Die Scherenbucht, die Koula und der weiße Wald – das sind die Gründe, warum der ganze Handel übers Meer läuft oder im weiten Bogen durchs Steinland geht.«
»Wer ’m weißen Wald zu nah kommt, du, den holt der sich«, sagte Tori.
»Wie das?«, fragte Gontas. Er fühlte eine Erregung, als hätte jemand eine Herausforderung ausgesprochen. »Was ist das für ein Ort?«
»So ’n Platz voll von Ungeheuern, hm«, sagte Tori. »Nich’ mal die Bäume sind so recht von dieser Welt, heißt es. Wenn da so ’n Fahrebund reingeht, dann verbrennen sie ihn oder
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