Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx
eingeholt haben, holen wir uns von ihm, was wir für den Rückweg brauchen«, sagte Gontas.
»Klar.« Mart klang bissig. »Tarukan hat zweihundert Männer bei sich. Da gibt’s bestimmt genug, um uns auszurüsten.«
»Angst?« Gontas grinste spöttisch. »Wir wussten vorher, dass Tarukan eine eigene Armee hat. Und jetzt plötzlich willst du klein beigeben und die Schätze der Zitadelle ihm überlassen?«
»Weiß nicht«, brummte Mart. »Hab mir überlegt, was er wohl alles in Kar Ombos zurückgelassen hat. Wär leichter, wenn wir da unsern Anteil abgreifen, wo seine Wachen doch jetzt unten im Keller mit den Maden kuscheln.«
Gontas biss die Lippen aufeinander. Er schüttelte den Kopf.
Tori betrachtete die Stadt der Dämonenbeschwörer, die düster im Morgenlicht über ihnen lag. »Hm, ich tät mich lieber unter der Sonne mit Tarukans Kläffern balgen, als dass ich noch mal da drüben in den Löchern die Abfallhaufen durchwühle.«
Mart gab nach. »Meinetwegen. Die fette Löhnung ist vermutlich sowieso nicht hier zu holen.«
Sie folgten dem Nordufer des Sees nach Osten. Die Berge und die verlassene Stadt schrumpften zu Schatten am Horizont, und bald wanderten sie wieder durch das Steinland, die Sonne heiß über ihren Köpfen und die weite, harte Ebene vor sich.
Es war ein einsamer, ein bedrückender Ort. Zu ihrer Rechten glänzte silbrig der See, die Wellen plätscherten leise und schwappten an den steinigen Strand. Aber nichts wuchs hier am Ufer des Lethe, und das ließ die Landschaft noch lebloser wirken als die dürre Wüste im Süden. Auch Gontas fühlte sich nicht wohl an diesem Wasser, das kein Leben brachte, auch wenn er beim Aufbruch in Kar Ombos noch so trotzig gesprochen hatte.
Dafür kamen sie am Seeufer gut voran, bis sie den Fluss erreichten, für den sie keinen anderen Namen hatten als den des Sees, den er speiste. Der Fluss Lethe wirkte viel lebendiger. Gras und Buschwerk wuchsen am Rand, und sogar ein paar niedrige Bäume mit breiter Krone. Röhricht stand am Ufer, und an den freien Stellen staksten Reiher durch das flache Wasser.
Die Wanderer füllten ihr Fass neu, da sie dem fließenden Gewässer mehr vertrauten als dem See.
Der Fluss Lethe war nicht tief und reichte den Menschen nur an wenigen Stellen bis über die Knie. Er war breit, wie breit genau, das ließ sich schwer abschätzen, denn die Uferlinie verschwamm oft in Dickicht und Morast, und der Lethe teilte sich zu einzelnen Armen mit verwucherten Inseln dazwischen.
Der Weg wurde beschwerlicher. Oft war das Ufer zu unwegsam, und sie kamen nur voran, indem sie durch das Wasser wateten. Aber auch das war mühselig und unsicher. Sie kühlten aus, und die Dromedare sträubten sich. Zudem mäanderte der Fluss sehr, und es kostete viel Zeit, jeder Windung zu folgen.
Am zweiten Tag zogen sie tiefer in die Wüste hinein und folgten dem Fluss nur aus der Ferne, vage in nordöstliche Richtung. Sie suchten nach Spuren, zu beiden Seiten des Lethe, aber nichts deutete darauf hin, dass je ein Mensch vor ihnen diesen Teil der Welt durchwandert hatte.
»Der Hexer hat uns belogen«, stellte Mart mürrisch fest. »Tarukan ist nie hier gewesen, und wir laufen fein in die Irre.«
»Der Boden ist hart«, sagte Gontas. »Er schluckt die Spuren.«
»Können wir genauso gut weiterlaufen, hm, wenn wir schon mal hier sind«, warf Tori ein. »Will jetzt schon gern wissen, was’s mit dieser Zitadelle auf sich hat.«
»Aber wenn wir ins Leere laufen«, sagte Mart, »haben wir keine Vorräte mehr für den Weg zurück.«
Sie gingen trotzdem weiter. In den Nächten stand der Styx am Himmel, in einem so kräftigen blutigen Rot, wie Gontas es nie zuvor gesehen hatte. Er war winzig, kaum größer als ein Stern, sodass die Reisenden ihn zu Anfang ganz übersahen. Aber er wuchs mit jedem Tag, starrte in der Nacht zu ihnen herab wie ein boshaft funkelndes Auge. Ein Auge, das sich immer weiter öffnete.
In den letzten Wochen hatte dieser Mond meist sehr groß am Himmel gestanden, und verglichen damit wirkte er nun beinahe unauffällig. Gontas beunruhigte der Anblick trotzdem.
Der Styx kam und ging ohne jede Regelmäßigkeit. In jeder Nacht wechselte er seine Größe, seine Farbe, seine Form, in einer völlig beliebigen Folge, die allenfalls die Sterndeuter von Modwinja voraussagen konnten. Dass er nun schon seit mindestens sieben Tagen dieselbe Farbe hatte, dass er rund blieb und so stetig an Größe zunahm, wie sich der Kolben einer Sanduhr in Khâl füllte,
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