Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx
allgegenwärtigen Rascheln und Rauschen war kein Muster auszumachen, das auf eine Bedrohung schließen ließ.
»Muss ich wohl erst ’n Stück Land roden«, sagte sie, »wenn wir rasten wollen.«
»Bloß nicht.« Mart spuckte aus. »Vielleicht finden wir am Fluss ’ne freie Stelle.«
»’ne saubere Stelle, sprich’s doch aus«, entgegnete Tori. »Wenn’s je was gab, was man unrein nennen kann, dann ist’s der Platz hier. Da tät ich mich lieber in der Halle der Häute in ’nen gegerbten Hexenbalg hüllen, als mir hier ’n Bett in Freistadt zu nehmen.«
»Wir gehen weiter«, sagte Gontas. Er hatte ein pelziges Gefühl auf der Zunge. »Hinter dem Waldrand ist der Boden hoffentlich freier.«
Bald lag der Saum des Waldes vor ihnen, nicht weiß wie bei Tag aus der Ferne, sondern dunkel und bedrohlich. Sie erahnten die Umrisse von bauchigen Stämmen, die schief und krumm und ohne Äste in alle Richtungen wuchsen. Eine Aura lag über dem Wald wie ein Schleier, der das Licht der Monde fing und brach. Sie schillerte in der Dunkelheit wie eine Seifenblase. Was dahinter lag, wirkte verzerrt und entrückt, wie die Schatten einer anderen Welt, die im Mondlicht schwebten.
»Sieht mir nicht so aus, als wär’s ein sehr gastlicher Wald«, stellte Mart fest. »Ich will da nicht im Dunkeln hineingehen.«
»Bah«, sagte Tori. »Biste bang im Finstern wie ’n Schrapf oder ’ne alte Vettel? Aber ich will verdammt sein, du, wenn das da Bäume sind in diesem … bunten Nebel.«
Sie gingen weiter und zerrten die Tiere hinter sich her. Die Tropfenhalme wurden niedriger, je weiter sie kamen, so als würde der weiße Wald selbst seinen Saum freihalten. Gontas spähte angestrengt auf die eigenartig verhüllten Stämme vor ihnen.
»Nein«, sagte er. »Nebel … ist das nicht.« Er beobachtete eine Stelle, wo das Licht des düsteren Hubal sich zu sammeln schien wie eine verzerrte Spiegelung. Das Spiegelbild des roten Mondes zog sich in die Länge, als würde es schmelzen, und tropfte dann langsam am Saum des Forstes herab.
Als sie näher kamen, erkannten sie, dass der ganze Wald unter einer zähen durchscheinenden Schicht aus Schleim lag. Sie überzog alles, die Stämme, den Boden, das Unterholz … wenn man es überhaupt Unterholz nennen konnte. Statt der Bäume bestand dieser Wald aus riesigen Pilzen. Die kleineren Gewächse darin waren knotige Stränge oder niedrigere Pilze. Der Boden unter dem Schleim federte.
Tori streckte am Waldrand die Stiefelspitze aus und prüfte den Grund. Als sie den Fuß zurückzog, haftete Schleim daran. Sie verzog das Gesicht. »Is bestimmt nicht besser da drin, hm.«
Gontas stand da und starrte den Wald an. Die Dromedare ließen die Köpfe hängen.
»Hab’s ja gesagt«, sagte Mart. »Weißer Wald ist ’ne schlechte Idee.«
Der Streifen vor dem Waldrand war vermutlich der beste Platz für ein Lager. Das Gelände war frei, das Gras niedrig. Der Boden fühlte sich an wie ein vollgesogener Teppich.
Keiner von ihnen wollte darauf liegen. Sie lösten also das Gepäck von den Tieren und breiteten alles unter sich aus, Taschen, Decken, sogar das Wasserfass. So verbrachten sie eine unbequeme Nacht. Was auch immer für Gefahren im weißen Wald lauern mochten, es zeigte sich nichts davon. Kein Leben regte sich unter den Pilzbäumen, nichts suchte die Wanderer heim außer ihren eigenen Albträumen und dem Geruch nach Fäulnis, der über dem ganzen Landstrich lag und an den man sich nie ganz gewöhnen konnte.
Nur Tori beklagte sich über die glucksenden, tropfenden Laute aus dem Wald. Und am nächsten Morgen fehlte ein Dromedar.
»Aye«, rief Mart. »Jetzt müssen wir wieder die Hälfte zurücklassen. Da bleibt uns nicht genug zum Weitergehen und nicht genug zum Umkehren. Jetzt verrecken wir alle in der Wüste!«
»Wir sind nich mehr inner Wüste«, erinnerte ihn Tori. »Und was sorgste dich drum, ob wir genug zu hacheln haben? Hast gestern noch getönt, dass wir eh alle selber aufgefressen wer’n in dem Wald.«
»Die meisten Vorräte haben wir sowieso schon aufgebraucht«, sagte Gontas. »Und wenn wir von dem Rest alles zurücklassen, was wir nicht unbedingt brauchen, die Zelte und Werkzeuge und die leeren Kisten und Taschen, dann bringen wir den Rest auf dem letzten Tier unter, oder wir tragen es selbst. Mehr Sorgen macht mir, wie das Dromedar weggekommen ist.«
»Schau mich nicht an«, sagte Mart. »Bestimmt nicht, als ich Wache hatte.«
»Klar, du«, warf Tori ein. »Da hat er ’n Auge
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