Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx
müssen bei der Zitadelle sein, bevor der Styx am größten ist. Sonst …«
»Sonst?«, fragte Mart neugierig.
»Sonst …«, wiederholte Gontas. Der Gedanke entglitt ihm. »Nun, Tarukan ist dort. Er wird irgendwas tun, nehme ich an.«
Gontas trieb sie gnadenlos vorwärts. Selbst bei Nacht gönnte er ihnen kaum eine Rast – das Mondlicht war hell genug zum Marschieren. Die Berge lagen vor ihnen. Die drei Wanderer sahen einen gewaltigen Gipfel, der so aussah, als würde er den Himmel spalten. Davor erstreckte sich zerklüftetes Hügelland, und zwischen den Hügeln und dem gewaltigen Massiv erblickten sie einen zweiten, kleineren Berg. Etwas zog sich über den Hang wie Haare, und der schneebedeckte Gipfel wirkte ausgeformt, als stünde ein Palast darauf.
»Die Zitadelle!«, rief Gontas, als sie zum ersten Mal bei Tageslicht nah genug waren, um Einzelheiten zu erkennen.
»Wenn du meinst.« Mart kniff sein eines Auge zusammen, sah aber nicht mehr als einen Berg vor vielen weiteren Bergen.
»Irgendwas ist da jedenfalls am Hang gebaut«, bestätigte Tori. »Wenn ich raten müsst, würd ich an die Rutschen denken, wo die Holzfäller im Arraz ihre Bäume ins Tal schicken. Aber das hier … is größer.«
»Wir haben ein Ziel«, sagte Gontas. »Wir können gerade darauf zugehen und brauchen den Fluss nicht mehr.«
Sie marschierten weiter. Sie waren weit in den Norden vorgedrungen und jetzt, da sie das Steinland hinter sich ließen, sank kühle Bergluft von den Höhen herab, und eine frische Brise wehte ihnen entgegen. Dennoch, es war Sommer, und ihre Wasserschläuche leerten sich rasch. Die beiden Söldner murrten bald darüber, dass Gontas dem Fluss den Rücken gekehrt hatte.
Aber das Hügelland war fruchtbar. Bald plätscherten kleine Bäche über ihren Weg, die dem Lethe zustrebten oder die vielleicht auch im Steinland versickern würden. Doch hier brachten sie den Wanderern Linderung gegen den Durst und Kühlung für die Füße.
Das zähe Gehölz der Steppe wich weichem Gras und bunt gefleckten Wiesen. Kleine Wäldchen an den Flanken spendeten Schatten; Moos und Farne säumten die kargeren Flecken an den Bachläufen und an den Spalten, wo zwischen runden Felsen glucksende Quellen entsprangen.
Gontas warf bald den Burnus ab und trug seine Tasche über dem bloßen Oberkörper. Tori betrachtete ihn, während Mücken und Bremsen und Fliegen sie umsummten.
»Bah!«, sagte sie. »Man sollte meinen, die Viecher laben sich an ihm, statt nach den Lücken in meiner Rüstung zu suchen.«
»Waschen«, sagte Mart, der in seinem schweren Lederharnisch schwitzte und ebenfalls von Insekten umschwirrt war. »Wenn du mal in einen von den Bächen springst, wie unser reinlicher Wilder bei der letzten Rast, dann lassen sie dich vielleicht auch in Ruh.«
»Bah.« Tori verzog das Gesicht. »Was versteht so ’n Ungeziefer von Sauberkeit? Da haben mich doch gerade erst die Käfermänner mit Schwämmen abgewischt, und das Leder haben sie auch so blank poliert, als wär’s nie von ’nem Haufen Pilze besabbert worden. Ne, du, wenn ich das nächste Mal bade, dann wird’s inner warmen Wanne in Apis sein und mit Seife, nicht hier draußen, wo nur die Blutegel im Wasser lauern.«
»Womöglich verstehn die Käferleut genauso wenig von Sauberkeit«, sagte Mart. »Sind auch bloß Ungeziefer. Du musst vielleicht nur den Geruch loswerden, der von ihren Schwämmen noch an dir klebt.«
»Geh du doch zuerst baden«, sagte Tori herausfordernd.
»Still«, fuhr Gontas sie an. »Ihr scheucht die Vögel bis vor zum Pass auf mit eurem Geplärr. Das ist jetzt eine Woche her mit den Ameisen, und wir sind seitdem durch Staub und Hitze marschiert. Ihr könntet beide ein Bad vertragen.«
»Hm, klar dass so ’n Wilder das sagt«, bemerkte Tori spitz. »Badet’s bestimmt jeden Tag, da bei euch innen Büschen. Wisst aber auch nicht, dass die übelsten Krankheiten vom Wasser kommen, du.«
Mart stutzte und fragte unvermittelt: »Moment mal. Was für ’n Pass?«
Gontas wies nach vorn, wo mitten in einem dichten Wäldchen ein schmaler Einschnitt zwischen den Hügeln zu sehen war. »Der da«, sagte er. »Auf dem Weg kommen wir am leichtesten ins nächste Tal. Dann kann es nicht mehr weit sein bis zur Zitadelle.«
»Wenn’s überhaupt der richtige Berg ist, wo wir drauf zulaufen«, sagte Tori.
In den Tälern des Hügellandes verloren sie die höheren Berge dahinter oft aus den Augen. Auch jetzt sahen sie nur das obere Stück des Berges, auf dem sie
Weitere Kostenlose Bücher