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Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx

Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx

Titel: Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Lohmann
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könnt sie auf den Weg schicken, dewa Swetjana, wenn Ihr diesen eigentümlichen Zungenschlag beherrscht.«
    Swetja sprach mit den Dienern, für die gerade erst ein paar Stunden vergangen waren seit dem Ball ihrer Herrin und die gar nicht verstanden, wie sehr ihre Welt sich seither verändert hatte.
    Aber der Palast, den sie kannten, war nur noch eine Höhle, die Gräfin war tot, ihr Heimatland war von Bergen verschlungen worden, und überall liefen fremde Soldaten umher, die alles, was geblieben war, in Besitz genommen hatten. An dieser Tatsache kam keiner vorbei.
    Die meisten beschlossen schließlich, in den Westen zu gehen, wie Swetja es ihnen riet. Swetja achtete darauf, dass sie Vorräte für die Reise bekamen. Anisja allerdings wollte bei ihr bleiben. Eine neue Herrin, mit der sie gemeinsam schon eine Gefahr durchgestanden und einen Feind zu Fall gebracht hatte, schien ihr lieber zu sein als ein ungewisses Schicksal allein in einem fremden Land.
    In Wahrheit bedeutete das nur, dass sie gemeinsam auf eine ungewisse Reise gehen würden. Swetja wusste das genau, dennoch war sie froh über die Gesellschaft. Anisja hatte sonst keine Herrin mehr, kein Zuhause, und Swetja nahm ihre Dienste gerne an. Das war etwas anderes als die unwillige Zofe, die Borija ihr besorgt hatte.
    Schließlich brachen sie auf.
    Nach und nach waren tatsächlich alle fünfhundert Dragoner eingetroffen. Niemand hatte sie aufgehalten, bevor genug Schiffe da gewesen waren, und nun zogen sie alle tiefer in die Berge hinein.
    Ein ferner weißer Gipfel war ihr Leitstern. Anfangs ging er fast unter im steinernen Meer der Berggrate und Täler, aber je näher sie kamen, umso majestätischer ragte er darüber auf, gekrönt von Gletschern und unnahbar.
    Es war Sommer, und doch froren sie, je höher sie kamen. Die Dragoner in ihren farbenfrohen Uniformen waren nicht gekleidet für den Winter. Die kurzen Pelzmäntel dienten eher der Zierde als dem Schutz. Sie kämpften sich über vereiste Schneefelder an schattigen Hängen, und Swetja zitterte in ihrem Kleid. Zum Glück hatte Anisja Kleidungsstücke aus den Kammern im Berg mitgebracht, die für das Wetter passender waren.
    »Dass du an diesen Mantel gedacht hast!«, rief Swetja dankbar aus. »Du hast doch erzählt, es gab hier gar keine Berge, als du zuletzt an der Oberfläche warst. Du konntest also auch nicht mehr über den Weg wissen als wir!«
    Anisja lachte. »Aber wenn Meister Borija sagt, wir gehen in den Süden, Herrin, und ich seh da Schnee und Eis glitzern, dann weiß ich trotzdem, dass ich ein paar Mäntel und Decken dazu einpacken muss.«
    Immer höher stiegen sie hinauf, über Gletscher und Eisfelder. Einige Soldaten hüllten sich in ihre Satteldecken. Borija schalt sie, wenn er sie erwischte. Manche fielen vom Pferd, andere stürzten mitsamt ihrem Pferd in eine Spalte, die trügerisch unter dem Eis lag. Manche Männer erlitten Erfrierungen, und andere erhoben sich nicht mehr nach nächtlicher Rast.
    Borija trieb sie weiter, und wenn die Offiziere sich beklagten, erinnerte er sie daran, was in der Heimat auf dem Spiel stand.
    Auf dem hohen Pass gerieten sie in ein Schneetreiben. So dicht fielen die Flocken, dass man den Rücken des Vordermanns nur als Schatten im Zwielicht sah. Swetja zog den Saum der Kapuze fester um ihr Gesicht. Sie sah alles nur verschwommen und wusste nicht, ob es am Schneetreiben lag oder ob es von der dünnen Luft herrührte, die ihr den Atem abschnürte.
    Sie lenkte ihr Pferd näher an das von Borija. Als sie den ausgetretenen Pfad verließ, sanken die Hufe ihrer Stute tief ein, und das Tier musste sich seinen Weg mit der Brust durch den Schnee bahnen. Anisja warnte sie, dem Grund nicht zu trauen.
    »Das ist verrückt«, sagte Swetja dem Hauptmann. »Es wird immer schlimmer.«
    »Das ist der letzte Pass«, antwortete Borija. »Danach wird es besser. Wir müssen nur in Bewegung bleiben und dürfen hier im Schnee nicht Halt machen.«
    Anisja verstand sicher nur Fetzen von dem Gespräch. Dennoch mischte sie sich ein. »Die Götter beobachten uns mit unheilvollen Augen«, sagte sie zu Swetja. In ihrer Stimme lag ein Schaudern, das nichts mit der Kälte zu tun hatte. Sie warf einen Blick über die Schulter zurück.
    »Was sagt sie?«, fragte Borija.
    »Sie ist beunruhigt von diesem Mond«, erklärte Swetja. Durch Wolken und Schnee und am helllichten Tag war der Styx inzwischen zu sehen. Wie ein verhangenes Auge schwebte er am Himmel, schon seit Tagen unbewegt an derselben

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