Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx
Stelle. Er glühte in einem bedrohlichen Rot. »Und ich«, fügte Swetja hinzu, »ehrlich gesagt auch.«
Gontas und seine Gefährten verließen den Bau und sahen fern im Norden bereits die Berge. Die Gipfel glitzerten im Sonnenlicht wie eine Perlenkrone am Horizont. Gontas beschirmte die Augen, denn das Licht war ihm fremd geworden. Er brauchte eine Weile, bis er sich wieder daran gewöhnt hatte und klar sehen konnte.
Die drei Reisenden waren allein. Weder der Dolmetscher noch die Krieger des Ameisenvolks waren mit ihnen an die Oberfläche gekommen. Nichts erinnerte an die Bewohner dieses Ortes als ein großes Loch im Boden hinter ihnen. Sand wehte in feinen Schlieren darüber, und zwei Schritte den Tunnel hinein sahen sie die glatte helle Wand, die sich in der Finsternis verlor.
»Hab’n uns schon geholfen, die Käferleut«, brummte Mart. »Bin trotzdem froh, dass ich draußen bin, und komm auch bestimmt nicht mehr hierher zurück.«
Tori spähte nach Osten. »Hm, seht ihr’s schimmern da drüben über’m Land? Das wird der Wald sein, wo wir durchgekommen sind.«
»Der weiße Wald?« Mart folgte ihrem Blick. »Was willst du damit? Hast du immer noch nicht eingesehen, dass es ein ganz übler Weg war, wo ihr uns reingeführt habt?«
»Mein ja nur. Der Wald liegt am Fluss, du, und da müssen wir hin, früher oder später.«
Mart fügte sich widerstrebend. Der Fluss Lethe war ihr Führer zur Zitadelle der Götter, und sie brauchten sein Wasser, wenn sie ihr Ziel erreichen wollten. Es war noch ein weiter Weg bis zu den Bergen, und sie konnten nicht alles bei sich tragen, was sie zum Überleben brauchten.
»Da muss die Zitadelle echt voll sein mit fetten Klunkern«, murrte Mart, »damit sich das alles lohnt. Und ich will Tarukan über’m Tor baumeln sehn, so schwer wie er’s uns gemacht hat.«
»Ich wär schon froh genug, du«, bemerkte Tori, »wenn wir seinen Tross ausfegen können und da alles finden, was wir für ’n Rückweg brauchen.«
»Pah.« Mart schnaubte abfällig. »Kleinliche Diebereien, weiter denkst du nicht? Da merkt man’s wohl, aus was für ’ner Gosse ich dich gezogen hab, Muscherl. Kein Ehrgeiz. Sei froh, dass ich für uns beide denke und ein bissel mehr erwarte vom Leben, jetzt, wo das Glück für uns nur ’ne Armlänge weit weg ist.«
Tori schnaubte. »Luftschlösser und Berge am Horizont. Hier ist nur Sand.«
Gontas ließ die beiden Söldner schwatzend vorausgehen. Ihm schwirrte noch der Kopf von all den Eindrücken, die seit dem Besuch bei der Königin darin herumspukten. Bilder waren es und Gedanken, die nach den passenden Worten suchten, während sie sich bereits in seinen Erinnerungen einnisteten.
Sie umgingen den weißen Wald in einem großen Bogen nach Norden und kamen an den Lethe. Das Land dort wurde ein wenig fruchtbarer. Zähe, armdicke Kriechwurzeln wucherten weitläufig durchs Gelände bis zum Fluss hin. Der Boden darunter war steinhart, nun gab es keinen Sand mehr. Gontas fragte sich, ob diese Gegend noch zum Steinland gehörte oder ob das schon eine eigene Steppe war, ein karger Vetter des Buschlandes, in dem er geboren war.
Am Ufer füllten sie die Wasserschläuche neu. Zuvor spülten sie die Behälter gründlich aus. Keiner sagte ein Wort, aber sie dachten alle daran, dass sie nun flussaufwärts vom Pilzwald waren und das Wasser hier – hoffentlich – rein von den Bergen herabfloss.
Sie wanderten viele Tage, vage in Sichtweite des Lethe, und die Berge rückten näher. Bei Nacht schliefen sie unter einem runden und blutroten Styx, der beständig größer wurde. Er beherrschte bald den Himmel und tauchte die Landschaft in ein unheiliges Licht. Selbst bei Tag war er mitunter blass zu sehen, und in der Nacht lag ein rot glühender Kranz um die dräuende Scheibe, womöglich ein Widerschein auf tiefer liegenden Wolkenfetzen, aber es sah so aus, als ob der Styx blutete.
»Verdammt will ich sein«, sagte Mart, »wenn ich je erlebt hab, dass der Bursche so lang seine Farbe hält.«
»Ich frag mich eher, du, ob uns das Ding gleich auf die Rübe fällt«, antwortete Tori. »Oder warum wird der jede Nacht größer?«
Gontas erinnerte sich an die Legenden seines Volkes, vielleicht auch an etwas, das er von der Königin der Myrmoi erfahren hatte. Er fühlte sich angetrieben von dem Mond, als könnte er zu spät kommen. Er versuchte, das Gefühl abzuschütteln.
Ich suche nach Halime, dachte er. Ihr Schicksal hat nichts mit diesem Mond zu tun.
Laut sagt er: »Wir
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