Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx
Kriegerin. Eine wahrhafte Rüstung.
Der Einäugige hielt eine Armbrust in der einen Hand, mit der anderen zerrte er einen leblosen Körper hinter sich her.
»Tori, Tori«, sagte er. Tadel lag in seiner Stimme. »Spielt hier die Heldin. Aber wenn ich nicht hinter dir aufräumen tät, wär dein Spiel bald vorbei, mein Kindlein.«
Tori, die Kriegerin mit der Hakenhand und den kurz geschnittenen Haaren, schob die Unterlippe vor.
»Spiel dich nicht auf, Mart. Mit ’nem Rudel Straßenratten werd ich schon allein fertig.«
Mart zog die Leiche ein Stückchen hoch und ließ sie wieder fallen. Dann warf er die Armbrust obendrauf. »Den da hab ich im Schatten erwischt, und schau, womit er auf dich gezielt hat.«
»Scheiße.« Tori trat näher. »Wie kommt so ’ne erbärmliche Ratte an eine Armbrust?« Sie kniff die Augen zusammen. »Hm, Schrott. Geklaut und verkommen lassen. Damit hätt er sich nur selbst den Bolzen ins Auge geschossen.«
Sie schaute auf Marts Augenklappe und grinste. Der runzelte die Stirn. »Darauf willst du dein Leben wetten? Und nachgedacht, wen das ganze Geschrei anlockt, das hast du auch nicht?«
»Wir sind inner Lehmstadt«, antwortete sie. »Da läuft keiner hin, wenn wer schreit.«
» Du bist hingelaufen«, erinnerte Mart seine Gefährtin. Er senkte die Stimme. »Denk dran, wir sind Söldner in einer fremden Stadt. Wenn die Wache uns hier mit roten Händen erwischt, können wir nicht auf Milde hoffen. Keiner von den Einheimischen gibt ein Haar auf uns. Und wer weiß, wie viele Ratten in den Schatten lauern?«
Tori hob ihre lange Sichelklinge bis unter das Kinn ihres Gefährten. »Seit wann fürchtet der Jaguar die Ratten? Außerdem ist Apis meine Heimatstadt. Ich kenn die Gerichtsbarkeit hier.«
Er schlug ihren Armstumpf beiseite. Seine Stimme klang leise und zornig. »Ich sag nur, sei vorsichtig, Tori. Ich werde nicht immer da sein, um dich rauszuplotzen.«
Er blickte sich in der Gasse um, wo die Gerüche der Unterstadt sich mit dem Gestank des Gemetzels vermischten. »Und jetzt«, sagte er laut, »gehen wir. Wir sind Söldner. Wir töten für Geld, nicht aus Mildtätigkeit.«
Tori stapfte auf das Straßenmädchen zu, das immer noch am Boden kauerte und sich nicht zu regen traute. Sie pflückte ihr die Bronzemünze vom blutigen Kittel, die sie selbst erst vor wenigen Augenblicken dorthin geworfen hatte. »Tut mir leid«, sagte sie. »Hast ihn gehört.« Sie warf Mart die Münze zu. »Zufrieden, Einauge? Jetzt hat sie für unsere Dienste bezahlt.«
Mart blickte wütend drein, aber die Münze fing er trotzdem auf. Brüsk wandte er sich ab und ging davon.
Tori ging ihm nach. »Aber wie das Mädel jetzt rumläuft, das ist dir gleich, hm?«
Mart prustete. »Komm mir nicht so, Hakenhand. Meinetwegen kann sie nackt rumlaufen. Da wird sie schon jemanden finden, der ihr ’n neuen Kittel bezahlt.«
»Aye.« Tori wies mit dem Haken über die Schulter zurück. »Das Problem sind bloß die Schnorrer, denen sie dabei begegnet und die nicht bezahlen wollen.«
»Was geht mich das an?«, fragte Mart gereizt. »Soll ich vielleicht Dirnenzieher werden und hinterm Geld der Freier herrennen?«
Sie ließen die verwinkelten Seitengassen hinter sich und kamen auf eine der Hauptstraßen der Unterstadt, die wegen der unbefestigten Wege auch als »Lehmstadt«, bekannt war. Bei Regen verwandelte sich das ganze Viertel in eine Schlammsuhle, aber es regnete selten in Apis.
Die staubige Straße, in die sie einbogen, war gerade und breit genug für Karren. Sie war auch breit genug, um das Licht der Monde einzulassen, und mit den tranigen Laternen, die über mancher Tür hingen und die Geschäftsschilder beleuchteten, oder die lebenden Angebote, die vor den Häusern ihre Reize zur Schau stellten, war es hier fast schon hell zu nennen und halbwegs sicher.
Bis tief in der Nacht ging es hier lebhaft zu, und in jedem der klobigen Lehmhäuser am Straßenrand verbarg sich ein Geschäft – eine Kaschemme, Hurenhäuser oder Badehäuser, Barbiere, Furunkelschneider, Kräuterhexen, Quattstuben, Wahrsager und was sich der Geschäftssinn der untersten Schicht von Apis sonst noch ausdenken mochte.
Auf der Straße flanierten auch viele Besucher, die nicht in das Viertel passten: bessergestellte Bürger, Handwerker, Kaufleute, womöglich der ein oder andere Edle, der sich verkleidet auf die Suche nach Zerstreuung und Nervenkitzel machte. Die Reichsten waren mit bewaffneten Begleitern unterwegs. Als Führer und Leibwache
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