Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx

spähte in die Finsternis.
    »Wenn sie meint, da ist ein Licht in dem Tunnel, sollten wir nachsehen«, sagte Gontas. »Aber vorsichtig.«
    »Klar«, räumte Mart missmutig ein. »Sehr vorsichtig.«
    Sie bogen in den Gang ein und tasteten Boden und Wände vor sich mit den Klingen ab. Tori fuhr im Gehen mit ihrem Haken über die Seitenwand. Das Geräusch hallte schrill durch den Tunnel, dann und wann flogen Funken vom Stein auf, bis Mart gereizt ihren Arm zurückriss.
    »Was soll das, Musche? Willst du den ganzen Berg wissen lassen, wo wir sind?«
    »Pfff. Wenn hier jemand lauert, du, soll er ruhig wissen, wo er uns findet. Dann weiß er auch gleich, was auf ihn wartet, wenn er’s tut!«
    Sie hob die gebogene Klinge. Ein feiner Schimmer lag auf dem Stahl. Mit jedem Schritt wurde es heller, und es war Tageslicht. Gontas ging schneller, doch der vermeintliche Ausgang erwies sich als ein Spalt, der hoch oben in der Decke klaffte. Sonnenlicht fiel von dort in den Tunnel.
    Mart legte den Kopf in den Nacken. »Zehn Schritt hoch. Mindestens.«
    »Wir gehen erst mal weiter«, sagte Gontas. »Vielleicht finden wir einen leichteren Weg nach draußen.«
    »Aber wir bleiben im Hauptgang«, sagte Mart. »Sonst finden wir bald nirgendwo mehr hin.«
    Die Wände waren voll von Spalten und Löchern. Manchmal waren es nur Mulden im Gestein, dann wieder richtige Abzweigungen. Über ihren Köpfen gab es Öffnungen, groß genug, dass ein Mensch hindurchkriechen konnte. Mart zog Tori zurück, die auf einen Riss in der Felswand starrte.
    »Hm, hab da was gesehen«, sagte sie. »Ich glaub, da drin bewegt sich was.«
    »Erst recht ’n Grund, in den breiten Gängen zu bleiben«, befand Mart. »Wenn’s hier ein paar schmierige Höhlenkriecher gibt, will ich Platz haben für mein Schwert.«
    Sie gingen vorsichtig weiter. Mart lauschte. Er meinte ein leichtes Schaben oder Rauschen zu vernehmen, tief aus dem Berg. Gontas stieß mit dem Fuß gegen etwas Hartes, genau am Rand des scharfen Lichtkreises, der von der Öffnung in der Decke auf den Boden fiel.
    Er zog ein geschwärztes und längliches Ding aus dem harten Lehm und betrachtete es. Dann stocherte er mit dem Säbel im Boden und grub weitere Stücke aus.
    Mart und Tori traten zu ihm.
    »Was is?«, fragte Mart.
    Gontas zeigt ihm, was er gefunden hatte. »Knochen. Sie sind gesplittert.«
    »Vielleicht was abgestürzt?«, fragte Mart, mit einem Blick zu dem Loch über ihnen.
    Gontas verzog das Gesicht. »Vielleicht. Alte Knochen, schwer zu sagen. Aber sie sehen so zersplittert aus, dass ich nicht an einen Sturz glauben mag. Ein Raubtier, möglicherweise, das die Überreste seiner Beute durch den Spalt geworfen hat.«
    »Oder eins, das den Kadaver hier unten zerlegt hat.«
    »Hm, Leute«, warf Tori ein. »’s sind alte Knochen, habt’s ihr gesagt. Ich mach mir nich in die Buxe vor ’ner altersschwachen Bestie. Lasst uns weitergehen.«
    Entschlossen lief sie voraus. Der Gang wand sich wieder in die Dunkelheit hinein. Mart blickte beunruhigt über die Schulter zurück.
    »Keine Angst, du«, sagte Tori. »Is schon wieder ’n neues Licht vor uns. Der Berg muss Löcher haben wie Tarukans Söldner, die wir oben haben liegen lassen.« Sie lächelte. »Seid’s ganz schöne Memmen, ihr zwei, wenn’s was finster wird. Aber keine Angst, Mama is ja bei euch.«
    Ein kalter Windhauch schlug ihnen entgegen. Der Tunnel endete unvermittelt in einer hohen Grotte, deren Wände von Einmündungen zerfressen waren wie ein wurmstichiger Apfel. Von oben fiel Tageslicht ein, aber die Öffnungen lagen wieder hoch über ihnen. Der Boden unter Gontas’ Füßen fühlte sich weich und ein wenig glitschig an. Ein fauliger Geruch lag in der Luft.
    »Da vorn!« Tori wiesquer durch die große Höhle, in der sich Lichtsäulen und Schlagschatten gegenseitig zu umschlingen schienen. »Da gibt’s wieder riesige Pilze, hier. Ich nehm an, die stinken so.«
    Fahle Knoten hingen von den Wänden herab. Manche waren fast zwei Schritt lang und erinnerten an dicke weiße Maden. Gontas vermeinte sogar, eine pulsierende Bewegung darin zu erahnen. Er hob beide Säbel und trat auf den Größten der sackartigen Auswüchse zu. Das untere Ende lag auf dem Boden auf, das obere schien aus einer kleinen Riefe in der Felswand herauszuwachsen.
    »Weiß nicht, ob das ’ne gute Idee ist, du«, sagte Tori.
    Gontas lachte. »Wer ist hier die Memme, Weib?«
    Er setzte die Säbelspitze an und stieß sie durch die lebendige Haut des weißen Wulstes.