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Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx

Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx

Titel: Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Lohmann
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…« Sie schaute zum offenen Dach hinauf, durch das der Styx schwer und kalt hereinstrahlte.
    Ihr Vater folgte ihrem Blick. Er schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er. »Doch deine Tage verbringst du genauso hier oben wie die Nächte. Ich sage ja nichts, mein Kind, solange du zufrieden bist. Aber sieh dich an! Du siehst nicht gesund aus in den letzten Tagen, und dieses Licht …« Er hielt kurz inne und schaute wieder zum Styx empor. »Dieses Licht, es tut dir nicht gut.«
    »Vater …« Sie wollte es nicht sagen, aber es brach aus ihr heraus. »Ich glaube … Kann es sein, dass der Mond des Styx sich rundet?«
    Juvan sah sie an, mit so viel Schwermut im Blick. Nach einer langen Stille flüsterte er: »Nein. Nicht meine Tochter … auf diesem Weg!«
    »Was, wenn die Astrologen seit Jahrtausenden den Styx falsch gedeutet haben?« Swetjana umklammerte trotzig ihre Papiere und Unterlagen. Sie hatte Berechnungen ! Die konnte ihr Vater nicht einfach beiseiteschieben. »Ist es dann nicht möglich, in derselben Sache zu besseren Ergebnissen zu kommen, wenn man es richtig macht?«
    »Ja, schon«, murmelte Juvan. Verlegen sah er zur Seite.
    Swetjana wusste genau, was er nicht laut aussprach: Warum solltest ausgerechnet du dann nach all diesen Jahrtausenden die richtige Berechnung gefunden haben?
    »Sie haben alle in der falschen Richtung geschaut«, erklärte sie eifrig. »Die übrigen Monde wechseln ihre Phase nach einem festen Zyklus: Auf Neumond folgt die Sichel, auf die Sichel das Viertel und immer so fort. Wenn man sieht, in welcher Phase der Mond steht, und wenn man den Ablauf kennt, dann weiß man, welche Phase man als Nächstes zu erwarten hat.
    Und weil alle Monde so sind, dachten alle Gelehrten bisher, der Styx müsste genauso sein. Komplizierter zwar, aber im Prinzip genauso. Also haben sie Listen geführt mit Beschreibungen des Styx und darauf gewartet, dass der Zyklus sich irgendwann wiederholt.
    Was aber, Vater, wenn das, was wir vom Styx sehen, in Wahrheit das Zusammenspiel ganz unterschiedlicher Rhythmen ist? Wie die Musik in einem Konzert. Wir hören eine Melodie, aber in Wahrheit spielt jedes Instrument sein eigenes Stück, und was wir hören, ist nur die Summe des Ganzen.
    Um den Styx zu verstehen, müssten wir seine ›Instrumente‹ kennen. Wir müssen die einzelnen Schwingungen unterscheiden, von denen jede ihrem eigenen Muster folgt und von denen wir nur die Überlagerung beobachten können.«
    »Hm.« Juvan sah wieder empor zum kalt dräuenden Styx, der durch die Dachluke schien. »Das ist gewiss eine interessante Theorie. Doch wie eine solche Berechnung zu alten Legenden und Aberglauben führt, das will mir nicht in den Kopf.«
    »Ich habe die früheren Phasen des Styx berücksichtigt, und die gegenwärtigen«, sagte Swetja. »Und wenn ich das in mein neues Modell einfüge und weiterrechne … dann deutet manches darauf hin … dass es auf den Kataklysmus zusteuern könnte!«
    Jetzt war das Wort ausgesprochen.
    Kataklysmus.
    Alte Schriften waren voll mit Prophezeiungen, was geschehen würde, wenn der Mond des Styx sich »rundete«. Wenn das geschah … würde eine Flut das Land verschlingen, würde Feuer vom Himmel regnen oder aus der Erde schießen, würden die Pforten der Hölle sich öffnen und Dämonen ausspeien oder die Geister der Toten, oder Krankheit und Hungersnot, das neue oder das alte Volk oder der Zorn der Götter würden die Menschheit vom Antlitz der Welt tilgen.
    Die Prophezeiungen, was im Mond des Styx geschähe, waren so zahlreich wie die Phasen des Styx selbst, und alle paar Jahre kamen neue dazu, wann immer ein Prediger sich genötigt sah, seine Vision zu ergänzen. Niemand wusste, wie die älteste Vorhersage lautete, welche die richtige war, falls es denn eine richtige gab. Niemand wusste überhaupt, wie man diesen Tag erkennen sollte. Der Styx rundete sich immer wieder einmal, strahlte mal heller, mal dunkler – und all diese kleineren Vollmonde waren ohne Bedeutung. Es zählte nur der Tag, an dem der Styx in seiner größten Form am Himmel stand und so hell strahlte, wie es nur möglich war, und im reinsten Rot … Doch wie groß, wie hell und wie rot konnte der Styx werden? Wann immer der Styx ein wenig größer und röter erschien, sah irgendwo ein Eiferer schon das Ende heranziehen.
    Denn nur in einem stimmten all diese Prophezeiungen überein: Im Mond des Styx würde die Welt, so wie sie war, ein Ende finden. Und darum trug das Ereignis, wie immer es auch aussehen mochte,

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