Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx
anstelle der Felder, die sie erwartet hatten, einen dichten Urwald, dessen Bewuchs sich dräuend über der Mauer erhob.
Sie folgten dem Wall eine Weile. Gontas hatte das Gefühl, als würde der Weg, der außen an der Mauer entlangführte, einen leichten Bogen beschreiben. Aber ein Ende fanden sie nicht.
»Sieht so aus, als hätte Tarukan das Ding um seinen ganzen Landsitz rumgezogen. Keine Ahnung, wie lang das ist und woraus er es gebaut hat. Er muss mehr Geld gescheffelt haben, als wir dachten.«
»’s ist größer als die Stadtmauer von Apis«, stellte Tori fest. Sie klang ehrfurchtsvoll, und ihr Blick schweifte über die glänzend weiße Oberfläche.
Mart spuckte aus. »Länger vielleicht. Aber ich kann mit den Händen an die Mauerkrone fassen. Das Ding hält uns nicht auf.«
Spielerisch legte er die Hand darauf, doch er zog sie schnell wieder zurück. Über die Innenfläche seines Lederhandschuhs verlief ein deutlich sichtbarer Schnitt.
»Zamar und Kikil!«, rief er aus. »Die Oberkante ist scharf wie ’ne Messerklinge!«
Er ließ sich von Gontas ein Stück hochheben, und sie stellten fest, dass die Mauer nach oben hin schmal zulief und tatsächlich eine scharfe Kante hatte.
»Wenn wir da rüberklettern, laufen wir bald alle mit Hakenhänden herum«, sagte Mart.
»Ich kann dich rüberwerfen«, sagte Gontas.
»Lass uns lieber ’n Tor suchen, hm«, schlug Tori vor.
Sie gingen weiter. Jenseits der Mauer hörten sie nur die Geräusche des Urwalds, laute Vögel, das Kreischen von Affen. Es klang fremd in diesem Teil des Landes.
Auf ihrer Seite gab es kleinere einheimische Wälder, trocken und dünn gewachsen. Dazwischen erstreckten sich Felder und Weiden, gelegentlich ein Dorf. Viele der Weiler waren verlassen, die Felder lagen brach.
»Tarukan scheint sich nicht viel um die Wirtschaft zu kümmern«, bemerkte Mart.
»Wozu auch?«, sagte Tori. »Hat ’n andres Geschäft, hm.«
»Trotzdem …«
Die Mauer musste länger sein als alles, was Menschen jemals errichtet hatte, und das Gelände, das sie umschloss, war riesig. Wenn Gontas den Weg abschätzte, den sie außen herum zurückgelegt hatten, dann ging er davon aus, dass selbst der Durchmesser des Landes darin mehrere Wegstunden betrug.
»Die Bäume da drin sind dreißig Schritt hoch«, stellte Mart fest. »Ich weiß nicht, wie die überhaupt hier in die Gegend kommen. Aber noch mehr frag ich mich, wie sie in so kurzer Zeit so hoch wachsen konnten.«
»Hm«, sagte Tori. »Haben wir uns wohl verlaufen, was meinst du, Mart? Doch kein so guter Pfadfinder, was?«
»Unsinn«, sagte er.
Sie kamen an einem Tor aus Eisen vorbei, das mit langen Spitzen bewehrt war. Gleich vor dem Tor lag ein größeres Dorf, und ein Posten mit bewaffneten Wachen war am Dorfrand stationiert. Misstrauisch beäugten die Krieger die Wanderer, die einfach weitergingen, als wären sie nur auf der Durchreise.
Tori schwieg, bis sie ein Stückweit weg waren. »Hm, sieht nich aus, als ging’s da leichter rein«, sagte sie dann.
»Gehn wir ’n Stück weiter«, gab Mart zurück. »Suchen wir uns ’nen netten Weiler, wo wir einen Tag bleiben und Gerüchte aufschnappen können. Dann kommen wir nachts mit ’nem Plan wieder zurück.«
Viele Stunden später erreichen sie ein zweites, kleineres Tor in der Mauer um das überwucherte Gelände. Auch vor diesem lag ein Dorf und ein befestigter Posten mit Söldnern, aber alles war ein weniger bescheidener angelegt als bei dem großen Tor. Es gab auch ein Gasthaus, in dem die drei Wanderer einkehrten. Sie saßen an einem Tisch, während der Schankraum sich allmählich füllte, mit einheimischen Bauern und mit den Söldnern des Stützpunktes.
Gontas beäugte sie finster, bis einer der Bewaffneten auf sie zukam und an ihren Tisch trat.
»Was wollt ihr hier?«, herrschte er sie unfreundlich an.
Gontas’ Hand tastete an den Gürtel, doch er hatte keine Äxte mehr. Ein plumper Stab mit einer etwas mehr als dolchlangen Klinge war seine einzige Waffe für den Nahkampf. Diese Stabklinge konnte man wie einen Säbel führen, wenn man davon absah, dass der Griff zwei Drittel der Länge ausmachte, oder als kurzen Stoßspeer mit einer Schneide auf der einen und gezackten Widerhaken auf der anderen Seite der Klinge. Aber vor allem war diese Waffe billiger gewesen als ein richtiges Schwert oder ein Paar gut ausgewogener Äxte. Es war das Beste gewesen, was Gontas sich hatte leisten können.
Mart lächelte den Söldner an und wies einladend auf die
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