Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx
stets denselben Namen: der Kataklysmus.
»Du kannst die Phasen des Styx vorhersagen?«, fragte Juvan überrascht.
»Noch nicht. Aber ich sehe eine Richtung. Und ich verbessere meine Formeln laufend.«
»Aber das ist es ja gerade«, sagte Juvan. »Wenn du vor dem Weltuntergang warnst und hast nicht mehr vorzuweisen als eine Formel, die du jeden Tag änderst, dann machst du dich nur zum Gespött so wie jeder andere Verrückte, der vor dir den Kataklysmus angekündigt hat.«
»Nicht, wenn er eintritt.« Sie grinste.
Juvan lächelte matt zurück. »Nicht, wenn er eintritt«, räumte er ein. »Aber dann könntest du deinen Triumph auch nicht mehr auskosten.«
Er ging quer durch das Observatorium und ließ sich auf einen Stuhl beim Teleskop fallen.
Swetjana lief zu ihm und nahm seine Hand. »Aber wenn ich recht habe«, sagte sie, »muss ich dann nicht die Menschen vor dieser Gefahr warnen? Man könnte versuchen … sich vorzubereiten!«
»Davon«, antwortete dew Juvan, »ist in den Prophezeiungen nie die Rede.« Sein Blick ging ins Leere. »Unheil, das ist es, was die Sterne uns bringen. Wie man sich darauf vorbereitet, wie man sich schützt, das verrät niemand. Wie eigentümlich, nicht? Wie … typisch!«
»Vater!«, rief Swetja aufgebracht.
Er tätschelte ihr die Hand. »Es ist gut, mein Kind. Aber denken wir darüber nach, bevor du der Welt deine Erkenntnis verkündest. Womöglich irrst du dich, womöglich kündigst du tatsächlich ein Unheil an, das niemand aufhalten kann. Es gibt aber auch noch eine dritte Möglichkeit, die wir erwägen sollten: dass du nämlich recht hast und in der Tat jene Phase des Styx herankommt, die man als ›Sich-Runden‹ bezeichnet – dass sie aber vorübergehen wird so wie jede andere Phase im Zyklus auch.
Denn bedenke, mein Kind: Die Phasen des Styx zu berechnen und vorherzusagen, das mag ernsthafte Sternenkunde sein. Aber die Geschichte vom Kataklysmus könnte dennoch ein bloßer Aberglaube bleiben, der dieser Mondphase eine Bedeutung zuschreibt, die sie in Wahrheit gar nicht hat. Dann wäre eben das, was geschieht, wenn man den Kataklysmus ankündigt – die Angst, der Aufruhr –, das einzige Unheil, das der Styx bringt. Und dann könnte man es am besten vermeiden, indem man schweigt.«
Swetjana richtete sich wieder auf. »Ich weiß ja, Vater«, fing sie zögernd an. »Aber da ist noch mehr. Meine Formeln … mein Gefühl …« Sie senkte die Stimme, als sie weitersprach: »Vater, wisst Ihr, ich habe in meinem Modell mit verschiedenen Reihen gearbeitet. Aber die besten Ergebnisse habe ich erzielt, wenn ich das, was den Rhythmen zugrunde liegt, nicht als Abfolge darstelle, sondern als Schwingung. Als eine abebbende Welle, die sich mit vielen anderen überlagert.
Ich weiß ja, das klingt dumm und ich interpretiere mehr hinein, als die Berechnungen hergeben. Aber immer wenn ich versuche, mir das, was ich da rechne, anschaulich zu machen, dann habe ich das Bild eines Sees vor Augen. Und das Sich-Runden, der Kataklysmus, das ist der ruhige Wasserspiegel. Was wir heute beim Styx beobachten, das wäre dann so, als hätte vor Äonen jemand eine Hand voll Steine ins Wasser geworfen, und wir sehen immer noch das Gekräusel, die Verwirbelung, die daher kommt.
Aber der Wellenschlag ebbt ab. Und was dann kommt, ist nicht nur eine Phase, es ist das Ende … Das Ende jedenfalls für die Zyklen des Styx, wie wir sie seit Jahrtausenden kennen.«
Juvan versuchte sich an einem Lachen. Aber er krauste auch die Stirn und blickte besorgt auf seine Tochter. »Hm, in der Tat. Sehr anschaulich.«
»Nicht wahr?« Sie lachte ebenfalls kurz auf. »Und es wäre ganz anders als alles, was wir sonst über die Gestirne wissen. Das ist es, was mich beunruhigt. Ich fühle … etwas Fremdes am Mond des Styx. Etwas, das mehr ist als meine unvollständigen Formeln. Es lässt die alten Prophezeiungen fast lebendig erscheinen.«
Swetjana holte tief Atem. »Vater«, fuhr sie entschlossen fort. »Du hast recht, was das Volk betrifft. Aber ich dachte mir, beim Ball zum Sommeranfang in Wajdaka, da kommen auch die bedeutendsten Sterndeuter des Landes zusammen. Ihnen könnte ich meine Berechnungen vorlegen. Ich mache auch gar keine große Sache daraus und werde gewiss nicht anfangen, vom Kataklysmus zu sprechen. Ich stelle nur ein Modell vor, um die Phasen des Styx zu berechnen, und die Gelehrten können meine Formeln prüfen, und wir warten ab, was sie dazu sagen.«
»Ah, der Ball in Wajdaka.« Juvan
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