Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx
wo alle Wachen alarmiert waren. Er konnte aufgeben – oder hier im Urwald ein Versteck suchen und abwarten, bis die Unruhe sich gelegt hatte.
8.
Vorsichtig tastete Gontas sich zu dem Schnitt zurück, durch den er in die Röhre der Spinne hineingekrochen war. So tückisch das Gespinst war, wenn man die Außenwand durchstieß, so glatt war es auf der Innenseite. Es hatte ihn bereitwillig aufgenommen und ihm Schutz geboten.
Im Laufe des Tages war das Licht milchig weiß und fleckig in sein Versteck gesickert, und Gontas hatte gehört, wie die Schergen des Hexenmeisters an der Oberfläche nach ihm suchten. Jetzt war es dunkel geworden, und dunkel blieb es, als Gontas den Kopf durch die Öffnung steckte und die kühle Nachtluft über sein Gesicht strich.
Stille hatte sich über den Wald gelegt. Nur das Laub raschelte, kleine Tiere keckerten gedämpft zwischen den Bäumen. Gontas kroch ganz aus dem Spinnenbau heraus. Er kauerte am Boden und ließ seine Sinne schweifen.
Die Verfolger hatten ihre Suche offenbar aufgegeben. Vielleicht glaubten sie, der Eindringling und die Pantherfrau seien beide Opfer der Spinne geworden. Vielleicht hatten sie auch statt seiner die beiden Söldner erwischt und wussten gar nicht, dass noch jemand in ihrem Wald herumschlich. Die sechsbeinige Spinne sollte jedenfalls keine Bedrohung mehr darstellen, und wenn er weiteren Fallen ausweichen konnte, würde er in dieser Nacht hoffentlich unbemerkt zum Turm gelangen.
Gontas kam zu einer kleinen Lichtung. Selene, einer der größeren Monde, stand voll am Himmel, und in ihrem geisterhaften Schein prüfte er seine Ausrüstung. Bei dem wilden Kampf waren die Pfeile im Köcher zerbrochen, alle, bis auf einen. Er konnte nur hoffen, dass er sie nicht brauchen würde. Dennoch zog er die Sehne auf und hängte sich Bogen und Köcher über die Schulter.
Behutsam löste er die Reste der Spinnweben, die er als Verband benutzt hatte, von seinen Handflächen. Die Verletzungen dort bluteten nicht mehr, aber sie waren empfindlich gegen Berührung. Vielleicht würden sie wieder aufgehen, wenn er die Hände zu sehr belastete. Dennoch war Gontas überrascht, wie gut sie innerhalb eines Tages verheilt waren. Die Macht, die im Netz der großen Spinne wohnte, musste wahrhaft die Heilkraft ihrer kleineren Brüder im Buschland noch übertreffen.
Gontas umfasste locker den Schaft seiner Klingenwaffe und marschierte los. Den zerschnittenen Stiefel hatte er im Spinnenbau zurückgelassen.
Mit der stählernen Spitze tastete er den Boden vor sich ab. Nur allzu sehr war er sich seines ungeschützten Fußes bewusst. Giftiges Getier mochte zwischen den Farnen lauern, oder giftige Pflanzen. Dennoch zog Gontas nach wenigen Schritten auch den zweiten Stiefel aus, denn das Gehen mit nur einem Schuh war beschwerlich und ließ seine Muskeln steif werden.
Kurz darauf sah er sein Ziel vor sich: Inmitten des Urwaldes lag eine große, kreisförmige Schneise, und auf einer Anhöhe erhob sich der Turm des Zauberers.
Gontas verharrte einen Moment am Rande der Lichtung und spähte über die freie Fläche. Der Turm war schlank und ragte hoch auf. Er sah aus wie gewachsen und schien aus demselben glasartigen Material zu bestehen wie die Mauer, die sich rings um den Wald zog. Im fahlen Licht der Selene schimmerte das Bauwerk wie ein Mondenstrahl, der sich senkrecht in die Erde gebohrt hatte. Es fiel Gontas schwer, die Umrisse und Einzelheiten des Gebäudes zu erkennen. Erst allmählich, während seine Augen sich an die Lichtverhältnisse gewöhnten, schälten sich Simse, Erker, Fenster und Balustraden aus dem organischen Bau.
Er verließ sich darauf, dass er vor dem dunklen Saum des Waldes beinahe unsichtbar sein musste, und ging ein Stück um die Lichtung herum. Wolken wälzten sich über den Himmel, enthüllten die schmaleren Sicheln der anderen Monde und verschlangen sie wieder. Schon kroch im Nordosten der Styx über die Baumwipfel, in einem fetten Orange wie von einem fernen Waldbrand. Da entdeckte Gontas einen Zugang zum weißen Turm, mehr als eine Mannshöhe über dem Boden. Eine schmale Treppe wand sich an der Außenmauer dorthin empor, und zwei Söldner standen in gut geschützten Nischen Wache. Auf diesem Wege würde es ihm kaum gelingen, unbemerkt einzudringen, und er konnte seine Gegner auch nicht ausschalten, bevor sie Alarm gaben.
Er schlich zur Rückseite und trat auf die Lichtung. Dort lief er über die Wiese die Anhöhe hinauf. Das Gras war kurz und fühlte sich feucht
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