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Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx

Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx

Titel: Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Lohmann
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und fleischig an unter seinen bloßen Füßen. Das war keine der trockenen Wiesen und Weiden, wie er sie vor der Mauer gesehen hatte und wie sie bis vor Kurzem noch an dieser Stelle gewachsen sein mussten. Auch diesen Pflanzenwuchs hatten Zauberkräfte zu Zerrbildern gestaltet. Gontas empfand Abscheu vor der widernatürlichen Vegetation, die er hier berührte. Die dicken Halme fühlten sich an wie Würmer, die ihre blinden Köpfe aus feuchter Friedhofserde reckten. Ihre Farbe war so dunkel, dass die Wiese im nächtlichen Zwielicht schwarz aussah, ein scharfer Kontrast zum nebelhaft schimmernden Turm in der Mitte.
    Gontas legte die Hand auf den Sockel des Turms und war fast überrascht, als er hart und fein konturiert gegen seine Haut drückte. Das weiße Material war ungemein kunstvoll verarbeitet; selbst an den scheinbar glatten Flächen zeichneten sich verschlungene Muster ab. Gontas blickte empor bis zu einem hohen Fensterbogen, zehn Armlängen über ihm.
    Die leicht von ihm weggeneigte Wand sollte zu erklimmen sein. Gontas fasste beherzt nach einem festen Halt und zog sich empor. Wenn er sich mit dem Körper dicht an die Mauer presste, protestierten seine Muskeln an Schultern und Oberschenkeln, aber er entlastete damit seine geschundenen Handflächen, weil die Schräge einen Großteil seines Gewichtes trug. Es dauerte nicht lange, dann zog er sich über einen Sims in einen schmalen Gang. Als er dort angelangt war, streckte er prüfend die Finger. Seine Hand schmerzte, aber die Wunden waren nicht wieder aufgegangen. Gontas leistete der Spinne im Stillen Abbitte; am Ende hatte sie ihm doch mehr geholfen, als dass sie ihn behindert hatte.
    Der Buschläufer schlich sich tiefer in das Bauwerk hinein. Der Gang, in dem er stand, verlief an der Außenwand entlang spiralförmig nach oben. Immer wieder kam Gontas an Fensteröffnungen vorüber, durch die dünn das Mondlicht fiel. Tausendfach von den glänzenden Flächen gebrochen, war es immer noch hell genug, um den weißen Turm mit einem unwirklichen Leuchten zu erfüllen. Wenn Gontas’ Blick zufällig auf die Hand fiel, mit der er den Weg ertastete, erschien ihm sein Fleisch wie ein fauliges Geschwür auf der leichenhaften Blässe des Gebäudes. Er fühlte sich von dem Bauwerk zurückgewiesen, so fremd waren ihm die Bauweise und das Material.
    Er kam an unregelmäßigen Öffnungen vorbei, die tiefer in den Turm führten. Obwohl die Wände undurchsichtig waren, gelangte Mondschein in die inneren Räume und vermittelte einen unbestimmten Eindruck von den Umrissen. Doch die scheinbare Helligkeit trog, denn das schwache Licht war nur ein kalter Schimmer auf den perlglänzenden Wänden, der nichts mehr erhellen konnte. Und die ausgeprägten, verspielten Ornamente waren auch hier, im Inneren des Bauwerks, allgegenwärtig und ließen die Umrisse der Räume verschwimmen. Gontas wusste nicht, wie er die Orientierung behalten sollte, wenn er den Wandelgang verließ. Also folgte er weiter dem Weg, der ihn nach oben führte.
    Mit einem Mal hallten klackende Fußtritte aus dem Inneren des Turms zu ihm. Gontas hielt Ausschau nach einem Versteck. Er konnte links oder rechts den Gang entlang flüchten, aber wenn jemand hier an die Außenwand des Turms trat und seine Schritte hörte, würde man ihn in dem unübersichtlichen Gewirr der Kammern rasch in die Enge treiben.
    Der Buschläufer legte den Kopf in den Nacken. Die Decke wölbte sich eine halbe Mannslänge über ihm. Ohne zu zögern, schob Gontas sich die Stabklinge hinter den Gürtel und fixierte sie zusätzlich noch mit dem Gurt seiner Tasche. Er sprang hoch und umklammerte zwei bauchige Windungen in der Deckenverzierung. Ein reißender Schmerz fuhr ihm in die Handflächen, aber Gontas biss die Zähne zusammen. Er spannte die Muskeln an und zog sich höher, winkelte die Beine an den Körper und hob sie zur Decke. Seine bloßen Zehen fanden Halt in den Spalten der reliefverzierten Oberfläche. Mit Händen und Füßen klammerte er sich fest. Er war froh, dass er seine Stiefel hatte zurücklassen müssen.
    Gontas war stark, aber diese Last war anders als alles, was er bisher getragen hatte – die Last seines eigenen Körpers in einer ganz ungewohnten Stellung. Bald zitterten seine Muskeln unter der mörderischen Anspannung. Der Schmerz in den Händen verschwand im Nu und wich einer tauben Gefühllosigkeit. Nur mit seinem Willen hieß Gontas die Finger fester fassen und wusste selbst nicht, ob sie seinem Befehl noch gehorchten oder

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