Im Mondlicht (Phobos) (German Edition)
neckte und fügte dann meistens hinzu, dass ihn diese Farbe total anmache. "Chauvie!", konterte Nora dann. Sie verstanden sich sehr gut.
Bernd reichte ihr den Telefonhörer. "Dein Freund!", sagte er und lächelte dabei ganz seltsam. Welcher Freund, dachte Nora. Sie hatte einmal einen Freund gehabt. Aber das war ja nun schon Jahre her. Nora nahm den Telefonhörer, drückte ihn ans Ohr und glaubte nicht, was sie hörte.
"Hallo, schöne Nora!"
Nora fiel nichts dazu ein. Wer, zur Hölle, war das?
"Hast du dich tatsächlich mit diesem schäbigen Versager zusammengetan?"
"Wer sind Sie?", fragte Nora. Ihre Stimme klang bei weitem nicht so fest, wie sie es sich wünschte.
"Wer ich bin? ", der Anrufer lachte. Es gurgelte deutlich in seinem Hals. Dieses Lachen klang nicht sehr gesund. "Ich bin der einzige, der dich liebt, obwohl er dich kennt."
Plötzlich hatte Nora einen intensiv ekelhaften Geruch in der Nase. Etwas begann in den tiefen Abgründen ihrer Seele seinen hässlichen Kopf zu heben.
"Was bilden Sie sich eigentlich ein?", Nora spürte, wie sie wütend wurde, aber immer noch in der Defensive war. Ihr fehlten die Angriffsworte.
"Ich bilde mir nichts ein", entgegnete der Anrufer. Wieder erklang dieses Lachen. Groteskerweise musste Nora an Leichen denken, die unter Wasser lachten. Sie hörte förmlich das Blubbern, sah, wie Luftblasen an die Oberfläche stiegen und in skurrilen Formen tanzten. Doch dann begann der Anrufer intime Details ihres Körpers aufzuzählen, und Nora verging auch der groteske Humor.
Völlig zusammenhangslos warf er plötzlich kichernd ein: "Und wusstest du schon, dass du heute eine gute Freundin verloren hast?"
Nora hängte ein.
Erst jetzt sah sie, dass Bernd sie die ganze Zeit beobachtet hatte. "Ein Verrückter", sagte sie.
"Ein Verrückter, den du kennst?" , fragte Bernd. Seine Stimme klang ausgesprochen mitfühlend.
"Von der Stimme her kenne ich ihn nicht, bestimmt nicht. Aber er weiß so verdächtig viel über mich." Nora setzte sich aufs Sofa. "Außerdem, woher kennt er unsere Nummer? Wir stehen noch nicht im Telefonbuch."
"Er kann sie vielleicht aus dem Internet haben", meinte Bernd. "Das ist doch kein Kunststück. Die Frage ist nur, was will er von dir?"
"Das hat er nicht gesagt. Ich glaube, er wollte mich nur nerven."
"Hat er’s geschafft?"
"Ja !", Nora seufzte. "Ich glaube schon."
Sie lehnte sich ins Sofa zurück und sah aus dem gegenüberliegenden Fenster. Riesige Wolkenschiffe segelten träge am Horizont entlang und trugen ihre feuchte Fracht in ferne Länder. Die Weiden am Teich beugten sich unter der Last ihrer dicken Köpfe. Die diesjährigen Triebe spießten wie lange Nadeln in den Himmel. Die Weiden hatten etwas von Außerirdischen, denen die Haare angesichts des desolaten Erdenzustandes zu Berge standen.
Was für ein hässlicher Anruf, dachte Nora. Sie fühlte sich aufgestöbert, getroffen und verwundet. Wer war dieser Scheißkerl und wie kam er an diese intimen Details? Der Stimme nach war es nicht Günter, jener Freund der fernen Vergangenheit. Sollte Günter gequatscht haben? Aber das mit Günter war doch so unendlich lange her. Scheißkerl! Genau. So würde sie ihn nächstes Mal anreden, wenn er wieder anrufen sollte. Sofort fühlte Nora sich mutiger. Es geht nichts über das passende Schimpfwort im rechten Augenblick.
Nora erhob sich, um wieder die Treppe hochzusteigen.
Aber dann folgte sie einem inneren Impuls, erst die Katze zu füttern. Letzte Woche schon hatten sie eine riesige, graugelbe Katze ums Haus streunen sehen. Sie hatten ihr Futter nach draußen gestellt. Die Katze fraß das Futter gnädig, ließ aber niemanden in ihre Nähe. Aber sie kam von da an immer wieder.
Nora trat vor ihr Haus. Der Teller mit dem Katzenfutter war geleert. Von der Katze aber entdeckte sie keine Spur. Nora klimperte etwas mit dem Teller. Das Zeichen für: Essen ist fertig! Jetzt erst fiel Nora auf, wie windstill es war. Nichts rührte sich, weder in dem Wäldchen, noch im Schilf am Teich. Nora dachte an die dreizehnte Fee von Dornröschen. Gibt es eine männliche Entsprechung zu bösen Feen? Wenn es eine geben sollte, er hatte zugeschlagen. Alles war in totenähnlichen Schlaf gesunken. Viele Prinzen würden sterben, durchbohrt von den erbarmungslosen Dornen der Hecke, die Dornröschens Schloss von der Außenwelt abschloss. Nora fühlte es deutlich: Dies war ein merkwürdiger Ort am linken Niederrhein. Die Toten des spanischen Erbfolgekrieges vor fünfhundert
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