Im Mondlicht (Phobos) (German Edition)
Uferwasser..."
Ruts Finger glitschten auf den Tasten aus. Verwundert löste sie ihren Blick vom Monitor. Sie entdeckte, dass die Tasten ihres Terminals blutverschmiert waren. Ich muss mich geschnitten haben, dachte sie noch und betrachtete ihre Hände. In ihren Handflächen hatten sich pfenniggroße Wunden gebildet, aus denen das Blut nur so floss. Rut fühlte keinen Schmerz. Nur diese unendliche Verwunderung über das, was mit ihr geschah, ließ ihr Herz bedeutend schneller schlagen. Sie stand auf, um die Wunden zu versorgen. Nach dem ersten Schritt schon spürte sie die warme, klebrige Feuchtigkeit an ihren Füßen.
Rut wurde schwindelig, sie schwankte. Als sie die riesige Blutlache zu ihren Füßen sah, wurde ihr schwarz vor den Augen und sie stürzte zu Boden.
*****
Nora wählte noch einmal Ruts Nummer. Nora ließ es schellen und schellen. Es dauerte. Endlich hörte sie, dass abgehoben wurde. Niemand meldete sich. "Rut?" , fragte sie in das Rauschen des Hörers hinein. Sie hörte schweres Atmen. "Rut, was ist los?", versuchte sie es noch einmal. Aber ihr antwortete nur dieses keuchende Atmen.
In Nora sprang die Panik hoch. Sie hängte ein und wählte die Nummer der Polizei.
*****
Die Krankenhausärzte behandelten Nora wie eine nahe Verwandte von Rut. So erfuhr sie, dass sich die rätselhaften Wunden an Ruts Händen und Füßen inzwischen ausgebreitet hatten und diesem Trend bis jetzt noch kein Einhalt geboten werden konnte. Haut und Muskelzellen gaben an verschiedenen Körperstellen einfach ihre Arbeit auf. Rut würde ihre Hände verlieren, vielleicht auch die Füße. Die Symptome ähnelten der Lepra. Eine noch unbekannte Virusart schien der Auslöser zu sein. Ein aufmerksamer Polizist hatte Ruts Gestammel richtig ge deutet. Sie hatten das verdächtige Kreuz sichergestellt. Ein bekanntes Forschungsinstitut arbeitete bereits daran. Rut hatte jetzt immer mehr Schmerzen. In ziemlich regelmäßigen Abständen begannen die Wunden wieder zu bluten, was Rut zusätzlich schwächte. Es ging Rut nicht gut, gar nicht gut.
Das Krankenzimmer lag im Dämmerlicht des hereinbrechenden Abends. Seit dem frühen Morgen wachte Nora an Ruts Bett. Die Lichtleiste über dem Kopfende des Bettes verbreitete indirektes Licht. Es war erstaunlich still in diesem großen, modernen Krankenhaus. Rut stöhnte. Nora nahm ihre Hand. Das Telefon klingelte. Nora hob ab, weil sie Bernds Anruf erwartete. Er hatte versprochen, sie abzuholen.
"Wie geht es deiner Freundin ?", klang die ungesunde Stimme des Anrufers aus dem Hörer.
"Du verdammter Schweinehund, was hast du mit ihr gemacht?" , in Nora flammte die reine Wut auf.
Der Anrufer kicherte: "Das wirst du nie erfahren. Das ist mein feines, kleines Geheimnis. Interessant dürfte für dich aber sein, was ich noch alles tun werde."
Wieder stieg Nora dieser unangenehme Geruch in die Nase oder besser, die Erinnerung an einen süßlich stinkenden Atem. Und ein inneres Bild begann sich abzuformen, etwas wie zerfetzte Haut, lappig, faltig, kam auf sie zu und Nora konnte sich nicht wehren.
"Und was wirst du noch alles tun?"
"Ich werde dir alles nehmen, kleine Nora. Deine Freunde, deinen Körper und zum Schluss deine Seele."
"Und warum, zum Teufel, willst du mir das alles antun?"
"Weil du es verdienst, du verdammtes Miststück. Niemals hättest du dich mit diesem elenden Versager einlassen dürfen, mit dieser Niete."
"Stattdessen?"
"Du willst wohl wissen, wer ich bin? Ahnst du es wirklich nicht? Wenn du es herausbekommst, werde ich aufhören. Aber ich glaube nicht, dass du es schaffst."
"Da sei versichert, ich werde es versuchen. Und wenn ich herausbekomme, wer du bist, wirst du nirgendwo mehr sicher sein, in keinem Versteck, in keinem Gefängnis und in keiner Irrenanstalt."
Nora hörte sich sprechen. Sie nahm diese eiskalte, harte Stimme wahr. War das noch Nora, jene Künstlerin, die Grafik studiert hatte und nach langem, wechselvollem Künstlerleben inklusive einer Ehescheidung jetzt für eine erstklassige Firma wunderschöne Stoffmuster formte? War das noch Nora, jene Nora, deren einfühlsame Kreativität sie reich gemacht hatte? Nora wusste, das war sie nicht mehr. Nora wusste, dass die Muster in Zukunft härter und bizarrer ausfallen würden.
Hatte er: "Freunde" gesagt?
Sie hängte ein und wählte rasch ihre eigene Nummer, um Bernd zu erreichen.
******
Regentropfen glitzerten auf den Zweigen der Kopfweiden. Bernd sah völlig abwesend aus dem Fenster. Der
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