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Im Mondlicht (Phobos) (German Edition)

Im Mondlicht (Phobos) (German Edition)

Titel: Im Mondlicht (Phobos) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Schuck
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und die harten Getränke, ein kleiner Flirt so zwischendurch und vielleicht auch ein bisschen mehr in einem der einschlägigen Hotels nebenan.
    Im Grunde war man ja eine einzige große Familie.
    Die Redner, es waren ausschließlich Männer, übertrafen sich in positiven Reden. Hahnenschau, dachte Wagner verächtlich. Gut, dass er es nicht nötig hatte, sich auf diese Art zu profilieren: Menschen, denen es übergut ging, zu verkaufen, dass es ihnen demnächst (besonders durch die Hilfe des Redners) noch viel besser gehen würde. Und dass dies nicht etwa auf Kosten anderer gehen würde, nein, nein, sondern, dass sie, die lieben Parteifreunde und Parteifreundinnen, das moralische Mandat zum Wohlstand hätten und nur sie ethisch so hoch entwickelt wären, den erarbeiteten Wohlstand mit anderen zu teilen.
    " Man glaubt es nicht", grinste Wagner in sich hinein, "was Menschen alles glauben, wenn sie es wollen."
    Wagner gehörte zum Team der Saalordner. Sein Job war, alle, die durch diese zweiflügelige Türe kamen, einer unauffälligen, aber genauen Betrachtung zu unterziehen. Daneben war ihm, psychologisch gesehen, die Aufgabe zugewiesen, Autorität auszustrahlen. Und das gelang ihm sehr gut. Wagner war 195 cm groß und brachte ca. zweihundertunddreißig Pfund auf die Waage. Das lag zwar weit über seinem Kampfgewicht, aber mit seinen fünfzig Jahren gedachte er sich sowieso nicht mehr in irgendeinen Ring zu stellen.
    Der Minister wurde erwartet. Er würde seine eigenen Leibwächter mitbringen. Aber für den Saal waren Wagner und seine Kollegen verantwortlich.
    Die zwei Flügel der großen Eingangstür flogen auf. Selmann und Immer stürzten herein: "Er kommt!"
    Wagner stand auf und winkte in der Hoffnung, dass der Gesprächsleiter am Podium es sehen würde. Er sah es nicht. Wagner griff sich den Kopfhörer mit dem winzigen Knopfmikrophon und rief hinein: "Der Minister kommt!"
    Der Gesprächsleiter, der den Kopfhörer aufgesetzt trug, zuckte zusammen, raffte sich aus seiner "konzentrierten Meditation", wie er seine Nickerchen im Dienst zu nennen pflegte, hoch und suchte über die Menge hinweg Wagners Blick.
    Wagner formte mit Daumen und Zeigefinger ein O. Das verabredete Zeichen. Das hatte Wagner von seinem amerikanischen Ausbilder : Für den Fall, dass die Technik versagte, was gar nicht so selten war, Zeichencodes zu verabreden.
    Der in Wohlstandszahlen schwelgende Redner wurde vom Gesprächsleiter herb unterbrochen: "Und nun haben wir die unschätzbare Ehre, den Herrn Minister in unseren Reihen begrüßen zu dürfen. Er hat seine Amtsgeschäfte extra für uns unterbrochen, um die Partei, unseren Ortsverband von Neumühl, in seinem schwierigen Wahlkampf zu unterstützen. Wir begleiten sein Eintreffen mit einem angemessenen Applaus."
    Brav brandete Applaus auf.
    Der Minister trat ein, klein, schmal, beweglich. Er durchschritt den langen Gang zwischen den Sitzreihen. Der Ortsverbandsvorsitzende und sein Clan stürzten ihm entgegen, begrüßten ihn überschwänglich. Das dauerte und dauerte. Nach einer guten halben Stunde stand der Minister endlich am Mikrophon: "Ich freue mich, endlich mal wieder in Neumühl sein zu dürfen. Das letzte Mal war ich vor acht Jahren hier. Ich erinnere mich noch", log er, indem er seine "Erinnerungen" präzise ausführte. In der Mediensprache nannten sie es "föhnen". Der Minister föhnte die Neumühler. Er holte sie für einen kurzen Augenblick aus der tristen Anonymität einer rheinischen Vorstadt heraus, hinein in die warme Brise öffentlichen Interesses. Das tat allen gut. Man hatte den Minister gesehen, in seiner Nähe gestanden, vielleicht sogar seine Hand geschüttelt. Wochenlang würden Männer an den Stammtischen ihre Reden einleiten mit: "Der Minister und ich..."
    Wagner seufzte und setzte seine zweihundertunddreißig Pfund wieder auf den Stuhl am Eingang. Jetzt war eigentlich alles gelaufen. Der Minister redete eine gute Viertelstunde warme Luft. Dann übernahm der Ortsverbandsvorsitzende wieder das Wort und dankte dem Minister eine Viertelstunde lang mit ebenso warmer Luft. Schließlich forderte er die Saalbesucher auf, zum gemütlichen Teil überzugehen. Das wurde von allen mit Applaus begrüßt. Die Saaltüren schwangen auf. Eine Schar Frauen und einige wenige Männer brachten Schüsseln und Tabletts mit dampfenden Speisen herein. Musik erklang. Der Minister mischte sich unter die Parteifreunde und besonders unter die Parteifreundinnen, knautschte sich trotz ständigen Redens

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