Im Mondlicht (Phobos) (German Edition)
werden schon dadurch Grenzen gesetzt sein, dass die Täter alle sterben werden."
"Und wo bleibt die politische Aussage dieser Projekte?"
"Es gibt keine politische Aussage. Diese Projekte sind rein wirtschaftliche Transaktionen. Es gilt Hindernisse für unsere Unternehmen zu beseitigen."
Blacklord schüttelte den Kopf.
"Das gibt doch alles keinen Sinn."
"Nun, das allein ist ja für uns schon sehr wünschenswert, nicht wahr? Ich werde Ihnen erläutern, was genau ich mir vorstelle."
*****
Die Anwärter lagen auf dem eiskalten Boden des Tempels. Sie lagen schon seit Stunden unbeweglich auf den Steinen, ihre Glieder waren völlig unterkühlt. Der Priester hatte gesagt, bewegt euch nicht! Bewegt euch auf keinen Fall! Die Dämonen werden über euch sein, und es ist nicht gut, wenn sie merken, dass ihr lebt. Haltet eure Gesichter an den Boden gepresst. Die Sonne ließ den Schatten der schrecklichen Statue, die am Eingang des Tempels stand, einen Schritt weit wandern. Da kamen die Dämonen, so wie der Priester gesagt hatte.
Gott Rudra, der schreckliche Bogenschütze war über ihnen. Er trug eine Kutte aus Tigerfell, von dem jeder wusste, dass der Tiger noch gelebt hatte, als Rudra es ihm abgezogen hatte. Sein Gesicht konnte keiner erkennen. Aus dem Schatten der Kutte leuchtete sein eines Auge wie ein Scheinwerfer. Den relativ kurzen Bogen trug er in einer seiner linken Hände. Die Wurfarme waren so dick wie die Schienbeine eines Pferdes. Rudras Pfeilschüsse waren selbst unter Götterkollegen gefürchtet. Er traf unfehlbar, was er sah. Lebendige Schlangen hatte er zu Armreifen verflochten. Geifernd umzüngelten ihre hässlichen Köpfe seine Unterarme. Rudra schwebte knapp über den liegenden Adepten. In seiner Körperhaltung, seinem Gebaren war zu erkennen, wofür er stand: Gnadenlose Strenge und rasende Ekstase. Ihn begleitete eine schreckliche Schar offensichtlich blutsaugender Wesen.
Der Lärm der Dämonen zog über die Anwärter weg und erstarb. Die Stille erschien ihnen jetzt noch bedrohlicher als der Lärm. Einer nach dem anderen begannen die Anwärter die Augen zu öffnen. Rudra hatte sich vor dem Altar aufgebaut. Auf den ersten Blick schien er die Szene zu beherrschen. Aber hinter dem Altar manifestierte sich ein weiteres Wesen, das sie nicht kannten und dessen Dimensionen unaussprechlich waren. Auf unnennbare Art wirkte es noch viel älter und grauenhafter als der gefährliche Bogenschütze. Mit messerscharfer Stimme rief Rudra den Namen eines der Anwärter. Der junge Mann schrak zusammen, erhob sich mühsam vom Boden und wankte zum Altar. Rudra berührte mit den Krallen seiner rechten Hand die Stirn des Schülers. Die verflochtenen Schlangen stießen ihre hässlichen Köpfe vor. Der Schüler sank in die Knie. Sein Schädel schien sich zu öffnen. Die grauweißen Gehirnwindungen glänzten feucht im trüben Licht des Tempels. Den jungen Mann durchfuhr es wie ein Blitz. Ein eiskalter Stoß geballter Wissensenergie sprang dem jungen Mann direkt ins Hirn. Wie ein saugender Polyp erfassten die Ethik des Mordens und die Details des konkreten Auftrages das bisherige Bewusstsein des Adepten, spalteten alles ab, was der grausamen Tat hinderlich sein konnte, verwandelte den Schüler in einem Augenblick vom sanften Lamm in einen reißenden Wolf, allerdings getarnt durch das Lammfell sanfter Umgangsformen und der eher depressiven Aura des Verlierers. Erst im Augenblick der Tat würde die Sanftheit wie eine unnütze Hülle von ihm fallen und das reißende Raubtier freigeben.
Der Schüler brach zusammen. Rudra ließ seine Scheinwerferaugen schweifen. Das stechende Licht fiel auf einen weiteren der am Boden liegenden Schüler. Dieser Schüler war ich, ganz eindeutig. Und ich fühlte mich seltsam ambivalent. Zum einen war ich der ängstliche Adept und ganz in dieser Rolle. Gleichzeitig aber war ich auch der Beobachter, der sich fragte, wie zum Teufel er in diesen Tempel geraten war.
Ich spürte das Licht aus Rudras Auge wie einen heißen Hauch. Ich sah auf. Rudra winkte mich herbei. Angst hielt mein Herz in eiserner Umklammerung. Ich begann zu keuchen... und wachte auf. Es war ein Traum, nur ein Traum.
Dieser Traum hatte mich so intensiv in seine Welt entführt, dass ich mir erst einmal selber buchstabieren musste, wer ich bin. Ganz ruhig, sagte ich zu mir, ganz ruhig! Du bist kein indischer Tempelschüler, du bist Lycian. Du bist ein Manip (Siehe die Geschichte: Ganz cool! Anm. des Verf.). Du bist das Ergebnis
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