Im Morgengrauen
den Frauen mag ich starke und tiefe Stimmen, wie Duffy, Amy Winehouse oder, um etwas Älteres zu nennen, Tina Turner. Ansonsten höre ich auch gerne französische und spanische Interpreten.“
Er musterte mich mit einem Lächeln im Gesicht.
„ Hab’ ich was Falsches gesagt?“
„ Nein, im Gegenteil. Die spanische Musik überrascht mich ein bisschen. Hat das etwas mit einem bestimmten Manuel zu tun?“, fragte er beim Aufstehen.
„ Indirekt schon, wir sind zusammen aufgewachsen. Seine Mutter hat mich bestimmt beeinflusst. Du kannst die CD auch draußen lassen“, sagte ich, als er sie aus der Anlage holte.
Vielleicht würde ich die Gelegenheit haben, sie noch einmal zu hören.
Gut gelaunt zog er seine Schuhe an.
„ Vergiss deinen Helm nicht. Wir nehmen das Motorrad.“
Unten angekommen reichte er mir seinen Rucksack, um das Garagentor aufzumachen. Als ich hinter ihn kletterte, wusste ich zunächst nicht, wohin mit meinen Händen. Mein erster Reflex war, mich an ihm festzuhalten, blitzartig hatte ich aber Manuels Bild vor Augen, sodass ich sie auf meine Knie legte. Wir fuhren bestimmt fünfzehn Minuten, bevor er anhielt.
„ Du hältst dich gut in den Kurven. Umso besser in dieser Gegend, vor allem wenn du selbst fahren willst.“
„ War dein Angebot mit der Fahrstunde ernst gemeint?“
„ Natürlich, ich mache nie leere Versprechungen. Ich hoffe, du bist sportlich.“
Er musterte mich kurz von Kopf bis Fuß und lief dann mit großen Schritten voran.
„ Nicht wirklich“, gestand ich, als ich ihn eingeholt hatte.
„ Falls ich zu schnell bin, musst du es nur sagen. Ich möchte nicht, dass du schlappmachst. Am Ende muss ich dich noch tragen.“
„ Danke für das Angebot, vielleicht komme ich noch drauf zurück.“
„ Wir könnten sogar ein bisschen klettern, wenn du magst.“
„ Ich bin da, also werde ich nicht kneifen. Falls ich wirklich nicht mehr kann oder mir was breche, kannst du mich doch noch tragen.“
„ Träum du nur weiter! Gib mir den Rucksack.“ Auf einmal blieb er stehen und fragte mit einer Mischung aus Staunen und Enttäuschung in der Stimme: „Treibst du überhaupt keinen Sport?“
„ Ich reite. Ich habe eine Stute, die mich jeden Tag auf ihrem Rücken trägt.“
„ Hättest du das früher gesagt, hätte ich einen Esel besorgt.“
„ Das nächste Mal weißt du’s.“
„ Jetzt im Ernst. Wie lange reitest du am Tag?“
„ Eine Stunde, am Wochenende oft länger.“
„ Und das ist kein Sport?“
„ Doch natürlich. Ich bin aber keine Sportskanone. Ich bin faul und hasse es zu rennen, mit oder ohne Ball. Ich mag auch keine Bahnen schwimmen. In der Schule bin ich froh, wenn meine Leistungen für den Durchschnitt reichen. Ich vergleiche mich oft mit meiner Mutter und habe dann sofort Komplexe. Außerdem verbringe ich so viel Zeit mit meiner Stute Aquila, da ist gar kein Platz für weitere Sportarten, wenn ich noch Freunde treffen will.“
„ Aquila. Das ist ein schöner Name. Hast du ihn ausgesucht?“
„ Nein, meine Mutter. Es bedeutet
Adler
.“
„ Kann sie denn fliegen?“, fragte er mit einem Lächeln.
„ Manchmal könnte man meinen, dass sie über den Boden schwebt.“
„ Ich habe Durst, du auch?“
„ Ja, es wird langsam warm.“ Ich begann, mich aus meiner Jacke zu schälen. Er hob die Hand.
„ Nein, behalte sie an, gleich wird es schattig.“
Mit dem Finger zeigte er mir einen Weg, der sich den Berg hochschlängelte. Ich hob den Kopf und war fasziniert. Uns bot sich ein beeindruckendes Bild mit starken Kontrasten. Auf der einen Seite schien die Sonne. Sie war ein wenig durch die Bergspitze verdeckt, stand jedoch so hoch, dass ihre Strahlen ausreichten, um die satten Farben der Landschaft auf dem anderen Hang zum Leuchten zu bringen. Unterhalb der Sonne zeigte sich eine dunkle Wand: Dieselbe Landschaft war von einem Schatten umhüllt, als hätte der Berg das Licht unterhalb vom leuchtenden Kranz verschluckt. Verblüfft fiel mir nichts Originelleres ein als: „Ist das schön.“
„ Finde ich auch. Ich liebe diesen Ort um diese Tageszeit. Ich nenne ihn den heiligen Berg. Ich war so oft da und konnte ihn noch nie festhalten, aber heute …“
Er unterbrach seinen Satz mit einem zufriedenen Lächeln und kramte etwas aus seiner Tasche.
„ Heute hast du rein zufällig einen Fotoapparat dabei.“
Ich drehte den Kopf, als er das Objektiv auf mich richtete.
„ Purer Zufall, in der Tat. Aber keine Sorge, ich kann dich gar nicht fotografieren,
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