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Im Morgengrauen

Im Morgengrauen

Titel: Im Morgengrauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Béchar
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weitere Besteigung erwies sich als leichter. Je größer die Entfernung zum Wasserfall wurde, desto trockener war der Fels unter meinen Füßen und ich erreichte die nächste Ebene ohne weiteren Zwischenfall. Als Yannick bei mir war, stöhnte er: „Lilly, Lilly … Du hast mir Angst gemacht.“
    „ Ich habe dich gewarnt, ich bin eben nicht sehr sportlich.“
    „ Du hast dich doch gut geschlagen. Deine Schuhe taugen nichts, das ist alles. Ich hoffe, ich habe dir nicht wehgetan, als ich mich auf dich geworfen habe.“
    „ Nein, du hast mir nur kurz den Atem genommen.“ Als mir klar wurde, was ich gerade gesagt hatte, schoss mir Hitze in die Wangen. Schnell wandte ich mich von ihm ab und wechselte das Thema: „Gehen wir zur Grotte?“
    „ Was würdest du davon halten, wenn wir gegen die Aufregung erstmal die Aussicht genießen.“
    „ Du hast Recht, sie ist fantastisch.“
    Ich näherte mich dem Wasserfall und ging zum Rand, um zu sehen, wie das Wasser auf die unteren Stufen aufschlug. Plötzlich spürte ich seine Hände auf meinen Hüften, sie rissen mich nach hinten und zogen mich an seinen Körper.
    „ Lilly, was machst du denn?! Brauchst du auch ab und zu einen Kick oder bist du nur leichtsinnig?“
    „ Leichtsinnig, fürchte ich.“
    Als ich das sagte, fühlte ich wieder seine Nase und seinen Mund in meinem Haar. Ich schloss die Augen und rührte mich nicht. Auf einmal nahm er mich an der Hand und wir liefen zur Felswand. Jetzt konnte ich die Öffnung hinter dem Wasserfall sehen.
    „ Du rührst dich nicht von der Stelle. Ich schaue schnell nach, ob man reinkann.“
    Er holte eine Taschenlampe aus dem Rucksack und ging zum Eingang der Grotte. Vor dem Loch kniend, leuchtete er damit in die Höhle und warf einen Stein hinein. Vermutlich wollte er hören, ob noch Wasser drin war.
    „ Ich denke, wir können reingehen, wenn du möchtest“, rief er dann.
    „ Klar möchte ich das. Sind wir nicht deswegen hier?“
    Vorsichtig näherte ich mich der Öffnung.
    „ Ich gehe als Erster, dann kannst du die Tiefe einschätzen. Ich möchte sowieso den Boden testen, bevor du runtergehst“, sagte er kurz vor dem Sprung „Wie ich dachte, es ist wahnsinnig rutschig. Bist du sicher, dass du reinwillst?“
    „ Hundert pro.“
    „ Setze dich auf den Rand, ich fange dich auf.“
    Gesagt, getan: Er fing mich auf. Ich spürte seine Hände an meiner Taille und landete direkt in seinen Armen. Wir schauten uns lang in die Augen, ohne ein Wort zu sagen. Der Muskel in meiner Brust pochte heftig. Als Yannick meinen Kopf zwischen seine Hände nahm und sein Mund meinen berührte, dachte ich, mein Herz setze aus. Sein Kuss war sanft und scheu, als wüsste er nicht, ob er das Richtige tat. Seine Hand, die zu meinem Nacken wanderte, ließ mich erschaudern. Er drückte mich kurz an sich, als wollte er mich wärmen. Ich fror aber nicht.
    „ Schauen wir uns die Grotte an?“, flüsterte er mir ins Ohr, was ein neues Zittern hervorrief.
    „ Okay.“
    Er ließ mich los und nahm wieder die Taschenlampe.
    „ Glaubst du, du kannst laufen, ohne hinzufallen?“
    „ Ich denke schon. Wieso, willst du mich tragen?“
    „ Wer weiß?“
    Hand in Hand drangen wir langsam in die Höhle ein. Plötzlich hielt er an und bewegte seinen Fuß hin und her über dem Boden.
    „ Lass uns umkehren, da ist doch zu viel Wasser. Wir kriegen nasse Füße, wenn wir weitergehen.“
    Beim Umdrehen versuchte er, die Wand der Grotte zu beleuchten. Die Batterien waren so schwach, dass man kaum etwas erkennen konnte. Also liefen wir direkt zur Wasserwand zurück. Im Dunkeln sah ich in meiner menschlichen Gestalt kein bisschen besser. Seltsam, denn Gehör und Geruchssinn blieben geschärft, wenn auch nicht so ausgeprägt wie in der Haut des Löwen.
    „ Ich gehe als Erster raus. Schau, wo ich hintrete, und mach es mir nach. Ich ziehe dich dann hoch.“
    Draußen im Tageslicht sah ich wieder diesen Blick, der mich am ersten Tag so verwirrt hatte. Nun machte er mich nicht mehr verlegen. Es war nicht mehr der aufdringliche Blick eines Fremden, sondern der meines Freundes … und ich mochte es sehr, wenn er mich so anschaute.
    „ Wir haben zwar nicht viel von der Grotte gesehen, der Umweg hat sich aber trotzdem gelohnt“, meinte er mit einem verschmitzten Lächeln.
    „ Ganz deiner Meinung.“
    Er küsste meine Handinnenfläche und sah mir dabei immer noch in die Augen. „Bist du sicher, dass du kein Bild von dir vor dem Wasserfall haben willst?“, fragte er

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