Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Morgengrauen

Im Morgengrauen

Titel: Im Morgengrauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Béchar
Vom Netzwerk:
du bist viel zu nah. Und was sollte ich schon mit dem Bild von einem so hässlichen Mädchen machen?“
    „ Höre bitte auf, mich aufzuziehen.“
    „ Nur wenn du mir erlaubst zu sagen, dass du hübsch bist.“
    „ Wenn es dich glücklich macht.“
    „ Du hast keine Ahnung wie.“
    „ Was ist jetzt mit dem Foto? Machst du eins? … Vom Berg natürlich, nicht von mir.“
    „ Klar.“
    „ Schönes Gerät.“
    „ Es kann einem Journalisten nicht schaden, wenn er das, worüber er berichtet, auch dokumentieren kann, falls kein Fotograf in der Nähe ist. Ich möchte Auslandskorrespondent werden, aus Krisengebieten berichten … Es sei denn, ich lerne bis dahin jemanden kennen.“
    „ Könnte es sein, dass du das Risiko liebst?“
    „ Sagen wir, dass ich hin und wieder nichts gegen einen kleinen Adrenalinstoß habe.“
    Schweigend liefen wir bis zu einem kleinen Fluss. Die Holzbrücke, die uns auf die andere Seite bringen sollte, war nicht gerade Vertrauen einflößend. Die Luft wurde kühler und der Geruch der Tannen war berauschend.
    „ Wir werden bald an einem Wasserfall mit einer Grotte ankommen. Wenn du willst, können wir auf die Felsen klettern, sie sind überhaupt nicht steil. Man muss nur vorsichtig sein, weil sie an manchen Stellen ziemlich rutschig sind.“
    „ Ich bin dabei.“
    Während wir den Weg hochliefen, hörte ich Wasser plätschern. Da ich nicht wusste, ob Yannick die Geräusche bereits vernehmen konnte, erwähnte ich sie mit keiner Silbe. Nach weiteren zweihundert Metern konnten wir sehen, wie ein Bach im steinigen Boden verschwand. Bald war das Aufprallen des Wassers auf dem Stein so laut, dass selbst ein menschliches Ohr es hören musste. Nach einigen Metern entdeckte ich ihn – oder sollte ich „sie“ sagen? Denn der Wasserfall strömte über mehrere Felsvorsprünge hinab. Bei jeder Ebene verlor er an Kraft. Es sah aus, als habe ein Riese Stufen in den Berg gemeißelt, um ihn besser erklimmen zu können. Beeindruckt und hingerissen fragte ich Yannick, ob er seinen Fotoapparat nicht rausholen wollte.
    „ Nur wenn ich dich fotografieren darf. Der Wasserfall allein interessiert mich nicht, den habe ich schon“, sagte er laut, damit ich ihn hören konnte. Eigentlich viel zu laut für meine Ohren.
    „ Du weißt, wie ich darüber denke“, wandte ich ein. „Ich könnte aber ein Bild von dir vor dem Wasserfall machen.“
    „ Nein danke. Ich habe einen Karton voll mit Bildern von mir, die ich nicht anschaue. Nun, wie sieht es aus? Gehen wir bis zum dritten Felsvorsprung?“
    „ Unbedingt. Wo ist denn die Grotte?“
    „ Man sieht sie nicht von hier aus. Sie befindet sich beim dritten Absatz hinter dem Wasserfall. Da es bis vor zwei Wochen ziemlich viel geregnet hat, könnte sie allerdings noch überschwemmt sein. Sollen wir?“
    Ich nickte, worauf er mich mit einer Handbewegung einlud, vorauszugehen. „Ladies first.“
    Also fing ich an zu klettern. Die erste Etappe war ein Kinderspiel, die zweite schon etwas kniffliger, weil rutschiger. Da der Fels weder glatt noch sehr steil war, erreichte ich dennoch ohne große Probleme den nächsten Vorsprung. Die Steigung, die nun folgte, verlief ähnlich. Ich war fast auf dem dritten Absatz angekommen, als ich auf dem glatten Stein ausrutschte. Reflexartig schrie ich: „Yannick!“
    Ich malte mir schon aus, wie ich ihn beim Stürzen mitriss und wir auf dem zweiten Vorsprung aufschlugen. Diese Befürchtung war unbegründet. Er befand sich zwar unter mir, aber eher zu meiner Linken. Während ich immer mehr Tempo aufnahm, sah ich, wie er einen Satz nach rechts machte. Ich fühlte, wie mich sein Körper gegen den Felsen drückte.
    „ Wo willst du hin? Bleib bei mir“, sagte er mir leise ins Ohr. Ich spürte seinen Atem an meiner Schläfe und zitterte am ganzen Körper, während mein Herz immer schneller schlug. Nur vor Schreck oder war das die Wirkung, die er auf mich hatte? Wahrscheinlich beides. „Keine Bange, ich halte dich fest. Dreh mal deinen Kopf nach rechts. Siehst du die Vertiefungen im Fels?“
    „ Ja.“
    „ Ich gehe mal zur Seite, damit du dich bewegen kannst. Mach erstmal einen Schritt nach rechts, und sobald du einen guten Halt hast, kannst du weiterklettern. Ich bleibe bei dir. Solltest du spüren, dass du rutschst, schrei ruhig, um mich zu warnen … Aber vielleicht möchtest du lieber runter?“
    „ Kommt nicht infrage.“
    Kurz bevor er mich losließ, hatte ich ein seltsames Gefühl, als würde er mein Haar küssen.
    Die

Weitere Kostenlose Bücher