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Im Morgengrauen

Im Morgengrauen

Titel: Im Morgengrauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Béchar
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Hast du Angst, von deinem Bruder verspottet zu werden?“
    Mir reichte es und ich legte auf. Ein neues Klingeln ließ nicht auf sich warten. Ich drückte den Anruf weg und schaltete schließlich das Telefon ab.
     

    An diesem Abend versuchte ich, nicht an Yannick zu denken, was mir einigermaßen gelang, solange ich mit den anderen zusammen war. Kaum war ich allein auf meinem Zimmer, waren meine Gedanken wieder bei ihm. Ich dachte noch einmal über seinen Anruf nach und bereute mein Verhalten. Gespannt, ob er eine Nachricht hinterlassen hatte, gab ich meine PIN ein. Zwei Mal bat mich seine Stimme, ihn zurückzurufen. Aus Verzweiflung hatte er zwei SMS geschickt:
„Jeremy hat von Wölfen gesprochen. Seid vorsichtig“
und
„p.s. ich liebe dich“.
    Schlagartig fühlte ich mich mies. War das tatsächlich der Grund gewesen, weshalb er nicht wollte, dass ich mich mit Manuel zeigte? Oder war das nur ein Vorwand, weil er eifersüchtig war? Ich war mir nicht sicher. Ich hätte ihn gerne angerufen, um seine Stimme zu hören … Seine Stimme ja, aber nicht seine Stimmung. Auf eine Predigt konnte ich gerne verzichten. Trotzdem sollte seine letzte Nachricht nicht unbeantwortet bleiben. Also schickte ich ebenfalls ein paar Zeilen:
„Werde unterwegs sein, komme morgen Abend vorbei. Ich liebe dich.“
    Er sollte auf keinen Fall vergeblich auf mich warten und schon gar nicht meinen, ich sei noch böse auf ihn.
     

22
     

     

     

     

    Gleich nach dem Frühstück brachen wir auf. Manuel kam sich wieder wie ein Packesel vor. Die sperrige Decke wurde durch Brote ersetzt und diesmal hatten wir zwei Wasserflaschen dabei, dafür keine Bücher.
    Sobald ich an Yannick dachte, plagte mich mein schlechtes Gewissen. Ich würde es wieder gutmachen: Der Abend sollte ihm gehören. Das war beschlossene Sache. Manuel würde zwar nicht begeistert sein, aber da ich ihm den ganzen Tag widmete, musste er auch Zugeständnisse machen. Ich hatte vor, es ihm später zu beichten, kurz vor meinem Aufbruch, ansonsten wäre die Stimmung für den Rest des Tages dahin.
    Nach etlichen Kilometern hoffte ich, die Strecke nicht unterschätzt zu haben. Immerhin hatte ich beim ersten Mal ein schönes Stück auf dem Motorrad gesessen. Wir waren noch keine Stunde unterwegs, da hatte Manuel bereits Hunger, sodass wir unsere erste Pause einlegen mussten. Als wir später den Fluss erreichten, bedauerte ich, ihm nicht das gleiche Naturschauspiel bieten zu können, das mir bei meinem ersten Besuch dargeboten wurde. Da der Wasserfall nicht mehr weit war und mein Magen knurrte, schlug ich eine weitere Pause vor. Ich wollte unsere vorerst letzten Sonnenstrahlen beim Picknick genießen. Manuel, der immer essen konnte, schlang ein zweites Brot hinunter und streckte sich dann auf dem Gras aus. Ich tat es ihm nach und legte dabei den Kopf auf seinen Bauch: „Darf ich?“
    „ Alles was du willst.“ Als er anfing, mit meinem Haar zu spielen, überlegte ich kurz, ob ich nicht lieber ein anderes Kissen hätte nehmen sollen. „Das mit der Strähne gestern war ernst gemeint. Wenn du mir keine gibst, besuche ich dich eines Nachts mit einer Schere.“
    „ Das würde ich dir nicht raten. Aber keine Sorge, wenn es dich glücklich macht, bekommst du eine.“
    „ Es ist schön hier. Ich könnte stundenlang dableiben.“
    Seine Hand, die eine Zeitlang meine Mähne durchwühlt hatte, glitt zu meinem Hals.
    „ Nicht hier!“, schoss es aus meinem Mund und setzte mich dabei auf.
    Er richtete sich ebenfalls auf und kam mir näher.
    „ Nicht an diesem Ort oder nicht an dieser Stelle?“
    Ich konnte seinen Atem auf meiner Schläfe spüren.
    „ Beides.“
    „ Habe ich etwa eine erogene Zone erwischt?“, fragte er herausfordernd.
    Ohne darauf einzugehen, stand ich auf und wechselte das Thema: „Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit. Lass uns gehen.“
    Schweigend folgte er mir. Am Wasserfall angekommen, verriet mir sein Blick, dass er beeindruckt war. Während ich die Kaskaden betrachtete, spürte ich auf einmal seine Hände auf meinem Bauch. Er stand hinter mir und umarmte mich.
    „ Ich bin überwältigt“, flüsterte er mir ins Ohr und löste dabei Gänsehaut aus.
    Als ich ihm den Kopf zuwandte und sich unsere Augen trafen, wusste ich, dass es höchste Zeit war, etwas klarzustellen ... oder zumindest, ihm zu entfliehen. Feige, wie ich war, schob ich das Gespräch aber auf. Mit einem Schritt nach vorn befreite ich mich aus seiner Umarmung.
    „ Na, was meinst du? Diese Felsen

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