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Im Namen der Engel

Im Namen der Engel

Titel: Im Namen der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Stanton
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auf ihn losgehen?«
    »Ich bin noch da. Und wenn es Payton war, werde ich nicht auf ihn losgehen, weder mit einer Harke noch mit sonst einem Gartenwerkzeug.«
    »Auf diesen Ladendieb im Home Depot bist du mit einer Harke losgegangen«, rief ihr Antonia in Erinnerung.
    »Weil er auf dem Weg zur Tür dieses kleine Kind umgerannt hat«, entgegnete Bree. »Außerdem raste ich jetzt nicht mehr so schnell aus wie früher.« Sie stopfte das Taschentuch in die Tasche ihrer Jeans zurück. »Tut mir leid, dass ich so weinerlich war. Hab wohl meine professionelle Gelassenheit verloren.«
    »Heb dir die für deine Klienten auf«, riet Antonia. »Niemand verfügt über mehr professionelle Gelassenheit als du. Aber bei mir kannst du dich jederzeit ausweinen.«
    »Okay. Danke.«
    »Natürlich schafft es auch niemand besser als du, sie zu verlieren.«
    »Verkneif dir jeden weiteren Kommentar«, warf Bree ein.
    »Die Sache mit der Harke war ja noch gar nichts. Kannst du dich noch erinnern, wie du mal bei der Diskussion irgendeines hypothetischen Rechtsfalls an der Uni über den Tisch gehechtet bist und diesen Typ gewürgt hast? So hab ich es jedenfalls gehört.«
    »Da hast du falsch gehört.«
    »Und für wie lange haben sie dich ausgeschlossen?«, hakte Antonia nach.
    »Für einen Tag. Außerdem hab ich mich entschuldigt. Bin förmlich gekrochen vor Demut«, sagte Bree. »Aber das ist doch schon Jahre her – und habe ich seitdem jemals wieder etwas so Verrücktes getan? Nein, hab ich nicht.«
    »Ich glaube, ich werde doch zu dir kommen, wenn du nichts dagegen hast. Ich habe sowieso mit dem Gedanken gespielt, ein paar Tage bei euch allen zu verbringen. Und ich habe den Eindruck, dass du beim Einleben etwas Hilfe gebrauchen könntest.«
    »Ich habe aber was dagegen. Und ich brauche keine Hilfe«, entgegnete Bree voller Entschiedenheit. »Morgen werde ich bei Professor Cianquino vorbeifahren, damit er diese Sache aufklärt. Und dann muss ich ein paar Einstellungsgespräche führen, um jemanden fürs Büro zu bekommen. Kümmer du dich mal um deine Uni.«
    »Tja, die Uni …«, erwiderte Antonia nachdenklich.
    »Wenn du das Studium an der UNC schmeißt, werden Mom und Dad über dich herfallen wie Flöhe über einen Igel. Und erwarte nicht von mir, dass ich sie daran hindere.«
    »So viel zum Thema schwesterliche Solidarität.«
    »Wenn du dein Studium abgeschlossen hast«, sagte Bree, »weißt du vielleicht wenigstens, wie man das buchstabiert.«
    Antonia kreischte höhnisch los und legte auf.
    Bree trank ihren Wein aus. »Darüber werden wir morgen nachdenken«, teilte sie dem Hund mit.
    Sie nahm eine heiße Dusche, zog ein übergroßes T-Shirt an und ging zu Bett. Gerade als sie dabei war einzuschlafen, tauchte unversehens das Gesicht an der Terrassentür vor ihrem inneren Auge wieder auf. Sie setzte sich auf. Plötzlich war ihr eiskalt. Das war nicht die UPS-Frau gewesen, da war sie sicher. Auf der anderen Seite des Glases war das Gesicht eines Mannes zu sehen gewesen, mit den kältesten blauen Augen, die ihr je untergekommen waren, eines Mannes, der in ein Leichentuch gehüllt gewesen war.

Grrr … heb dich hinweg, du Widerling!
    Robert Browning, »Selbstgespräch in einem spanischen Kreuzgang«
    Bree schlief. Und während sie schlief, suchte sie ein Albtraum aus früheren Zeiten heim.
    Sie träumte vom Ertrinken und von den gellenden Schreien ertrinkender Menschen. Gerade als in den Bäumen vor ihrem Fenster die Vögel anfingen zu zwitschern, erwachte sie mit einem Aufschrei, die rechte Hand ausgestreckt, um die schreienden Gestalten aus dem dunklen, aufgewühlten Meer zu ziehen. Nachdem sie sich die Steppdecke um die Schultern geschlungen hatte, rieb sie sich mit beiden Händen heftig übers Gesicht.
    Diesen Traum hatte sie als Kind oft gehabt. Er verlief immer wieder gleich. Sie trieb in einem Meer, das sie nie zuvor gesehen hatte. Über ihr ragte jemand auf – wie sie meinte, eine Frau mit schwarzem Haar und hellen Augen, deren Gesichtszüge nicht erkennbar waren, weil ein dunkler Schatten über ihnen lag. Das Geräusch schlagender Flügel versetzte die Luft in Aufruhr. Nein, es war gar kein Geräusch, sondern das Auf und Ab von Flügeln, das in ihrem Kopf, in ihrer Brust, in ihren Lungen pulsierte.
    Und dann fand am endlosen Himmel plötzlich eine gewaltige Explosion statt. Das Meer schwoll an, um sie zu verschlingen. Manchmal loderte am Himmel ein dunkles, tödlich aussehendes Feuer auf, manchmal ein gleißendes

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