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Im Namen der Gerechtigkeit - Roman

Im Namen der Gerechtigkeit - Roman

Titel: Im Namen der Gerechtigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nagel & Kimche AG
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beschwerte.
    Doni war seinem Schicksal dankbar, dass seine Eltern sich unauffällig und auf eine sauberere Art verabschiedet hatten: zunächst der Vater mit einem Herzinfarkt, dann die Mutter mit einem frühen Tod.
    Beim Kaffee hörte der Alte mit den Etymologien auf und wandte sich erneut an Doni.
    «Claudia hat mir erzählt, dass du mit dem Prozess von diesem Typen da betraut bist», sagte er.
    «Welchem Typen?»
    «Von diesem Neger. Der da eine in den Rollstuhl befördert hat.»
    Doni atmete tief durch.
    «Papa, du sollst doch nicht Neger sagen», warf Claudia lächelnd ein.
    «Na, er ist doch aber einer, oder? Ich sag doch auch nichts, wenn man Weißer zu mir sagt. Stell dir vor.»
    Claudia verdrehte die Augen.
    «Na, jedenfalls, dann mal los, was», sagte der Alte und sah Doni an.
    «Dann mal los womit?»
    «Roberto, bitte», ging Claudia dazwischen.
    «Was habe ich denn gesagt?»
    «Du bist laut geworden.»
    «Tja, entschuldige vielmals, aber ich verstehe nicht, worauf dein Vater hinauswill.»
    «Ich will darauf hinaus», sagte der Alte, «dass man den Mistkerlen geben muss, was sie verdienen.»
    «Nach einer gründlichen Analyse der Fakten, Signor Barbieri.»
    «Das will ich hoffen. Nach dem, was man alles aus dem Fernsehen mitbekommt, du weißt ja, wie das ist, man macht sich so seine Gedanken.»
    «Wieso, was sagen sie denn im Fernsehen?»
    Der Alte schien in Verlegenheit zu sein und schaute mit offenem Mund in die Runde. Sein Blick schweifte durch den schmutzigen, trostlosen Raum, dem Abbild seines Verfalls. Er fand nichts, was ihm hätte helfen können.
    «Das Übliche», sagte er liebenswürdig.
    «Na, solange es das Übliche ist», sagte Doni nun seinerseits lächelnd.
    «Möchtet ihr noch einen Schluck Kaffee?», fragte Claudia.
    Gegen neun Uhr brachen sie wieder auf. Es roch nach frischgemähtem Gras. Doni atmete tief ein, bevor er sich ans Steuer setzte. Claudia schwieg.
    Auf dem Rückweg begann sie immer wieder zu husten.
    «Geht es dir nicht gut?», fragte Doni.
    «Doch, doch, es geht mir gut.»
    «Du hast Husten.»
    «Nein, es ist nichts.» Sie schluckte. «Ach, das hätte ich beinahe vergessen. Elisa hat wieder angerufen.»
    «Aha.»
    «Heute Nachmittag.»
    «Und was sagt sie?»
    «Gute Nachrichten. Sie hat wieder ein Stipendium bekommen. Wie es aussieht, bleibt sie in Bloomington.»
    Doni schwieg eine Weile.
    «Warum erfahre ich das erst jetzt?», fragte er dann.
    «Was meinst du?»
    «Sie hat mir immer noch nicht auf meine Mail geantwortet.»
    «Ach, du wirst sehen, früher oder später macht sie das schon noch. Sie stand sehr unter Druck, die Arme.»
    «Trotzdem hätte sie es wissen müssen.»
    «Dass Geld kein Problem ist? Natürlich, das sage ich ihr auch immer. Aber du weißt ja, wie sie ist, sie will keine Hilfe annehmen, sie macht lieber alles allein.»
    «Nein», sagte Doni, «dass mir viel an einer Antwort von ihr liegt.»
    Claudia öffnete den Mund, doch es kam nur ein Husten, dann schwieg sie. Das Randgebiet um sie her nahm allmählich die vertrauten Züge der Stadt an. Es war ein langsamer, stolpernder Vorgang. Manchmal tauchten inmitten einer Ansammlung von Häusern plötzlich Fabriken auf, und manchmal betupften Felder hier und da die Umgebung der Metropole.
    «Es ist erschreckend, wie dein Vater abbaut», sagte Doni, während er darauf wartete, dass die Ampel grün wurde.
    Sie zog am Sicherheitsgurt.
    «Wir doch auch.»
    Doni verzog das Gesicht, nickte und fuhr weiter. Fünfundsechzig und einundsechzig Jahre. Auch sie waren alt, natürlich. Und sie gingen zum Abendessen zu einem neunzigjährigen Rassisten und Schwätzer, während ihre Tochter sich auf der anderen Seite des Ozeans durchschlug, an einer Zukunft hängend, die Tag für Tag neu aufgebaut wurde und stets vom Scheitern bedroht war. An alldem war irgendetwas von Grund auf falsch. Doch vielleicht war es auch nur eine weitere Bestätigung seiner Annahme, dass Ernüchterung die einzige Lehre ist, mit der sich das Wesen des Menschen erklären lässt, eben weil sie keinen Trost spendet.
    Doni fuhr schweigend weiter. Das Auto vor ihnen gab das Tempo vor, langsam und mit zu vielen Bremsungen, während die Lichter auf der Gegenfahrbahn in kleinen Rauten vorübersprühten.
    «Bieg doch an der nächsten Kreuzung links ab, das geht schneller», sagte Claudia hustend.
    «Nein, das ist zu chaotisch, wir verfahren uns nur.»
    «Doch, bieg ab.»
    «Aber geradeaus sind wir schneller.»
    «Verdammt noch mal», brauste sie auf. «Kann es

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