Im Namen der Gerechtigkeit - Roman
Fall noch mal durch den Kopf gehen lassen?»
«Teilweise», sagte Doni.
«Und?»
Er hielt sich den Hörer für einen kurzen Augenblick an die Stirn.
«Wir haben nichts in der Hand. Wenn du nicht irgendwas Konkretes hast, können wir rein gar nichts unternehmen.»
«Wir müssen hören, was Khaleds Schwester sagt.»
«Hat sie denn was Konkretes in der Hand?»
«Keine Ahnung.»
«Soso, du hast keine Ahnung. Elena, ich bin Staatsanwalt, ich habe genau umrissene Aufgaben, Pflichten und Verantwortung. In diesem Land kommt das Getriebe der Justiz zwar nur langsam in Gang, doch wenn es sich in Bewegung gesetzt hat, muss man ihm folgen. Ich meine, falls nicht einmal mir gegenüber wenn schon nicht die Unschuld, so doch wenigstens die vermutete Unschuld Khaleds belegt werden kann, dann ist da nichts zu machen. Da wird kein Heiliger vom Himmel herabsteigen, um ihm zu helfen.»
«Und Sie, warum machen Sie das alles dann?»
«Ich mache überhaupt nichts», sagte Doni. «Ich will nur, dass alles seine Ordnung hat.»
Sie schwiegen.
«Falls Sie am Samstagnachmittag Zeit haben, könnten wir Khaleds Schwester besuchen. Ich kann sie fragen, ob es ihr passt.»
«Ich weiß nicht recht.»
«Denken Sie darüber nach und geben Sie mir Bescheid. Es verpflichtet Sie ja zu nichts.»
«Na gut.»
Nach dem Telefonat setzte sich Doni an das Urteil zu dem Vergewaltigungsfall. Er schob die CD mit der Befragung durch die Psychologen in den Computer und hörte sie sich über Kopfhörer erneut an. Der Onkel hatte sich mit dem Mädchen im Bad eingeschlossen, hatte getan, was er tun wollte, und sie für den Fall bedroht, dass sie ihrer Mutter (die seit der Scheidung alleinstehend war) davon erzählte. Trotzdem hatte das Mädchen geredet. Doni konzentrierte sich auf die Stimmigkeit in den Aussagen des Mädchens und verglich sie noch einmal mit den vorliegenden Angaben im erstinstanzlichen Urteil.
Später rief Salvatori an, um zu fragen, ob er mit ihm zu Mittag essen wolle, doch Doni lehnte ab. Salvatori erkundigte sich, ob die Sache mit den Finanzpolizisten dabei eine Rolle spiele und ob Doni noch verärgert sei, doch der verneinte das. Er wollte einfach allein sein. Er hörte die Erleichterung in Salvatoris Stimme.
Fünf Minuten später kam ein weiterer Anruf, diesmal von Paoli, dem Generalstaatsanwalt.
«Hör mal, Doni», sagte er. «Am übernächsten Donnerstag findet in Rom eine Tagung über Wahrheit und Faktenermittlung statt. Du musst da für mich hin. Hast du Zeit?»
«Am Donnerstag?» Doni schaute in seinen Kalender. «Ja, da habe ich keine Verhandlung.»
«Na wunderbar. Weißt du, ich stecke in der Bredouille, eigentlich müsste ich dorthin, aber ich kann nicht, und einer aus Mailand muss dabei sein.» Er hustete. «Die üblichen Formalitäten. Buch dir einen Flug, geh ins Restaurant, und mach dir einen schönen Abend. Einverstanden?»
«Einverstanden, Exzellenz.»
Obwohl er Demokrat war, gefiel es dem Alten sehr, wenn sie ihn mit Exzellenz anredeten.
«Ausgezeichnet. Weißt du, ich hasse das.»
«Ich weiß, ich weiß.»
«Betrachte es als eine Vergnügungsreise.»
«Das mache ich.»
«Und vergiss das Essen nächste Woche nicht, ja?»
Doni legte auf. Er ging in die Bar hinunter, kaufte einen Müsliriegel und eine Flasche Wasser und kehrte in sein Büro zurück. Er aß am Fenster und beobachtete die Leute, die durch die Via Manara gingen. Er konnte auch die Nägel in den Steinquadern erkennen. Mit der Hand fuhr er neben dem Fenster über einen von ihnen. Er war rauh. Ein Nagel eben.
Nach dem Mittagessen rief er Claudia an und schlug ihr für das Abendessen Fertiggerichte von Peck vor. Sie stimmte begeistert zu – seit einigen Tagen schien ihm ihre Stimme schriller zu sein als sonst.
Schließlich öffnete er die Testament -Datei. Er korrigierte einige Sätze und fügte zwei Zeilen mit weiteren Verfügungen ein. All seine Schallplatten sollten der Sormani-Bibliothek geschenkt und somit öffentlich nutzbar werden. Er hielt das für eine wohltätige Geste. In dieser Richtung sollte er mehr unternehmen. Dann setzte er sich wieder an die Arbeit.
Er verließ den Justizpalast früher als gewöhnlich. Die Sonne stand noch hoch am Himmel, und der Frühling schien bereits ins Sommerliche zu spielen.
Doni ging den Corso di Porta Vittoria entlang, bog links in die Via Gaetano Donizetti ein und betrat ein Friseurgeschäft. Schon vor einigen Jahren hatte er es entdeckt und liebgewonnen. Er ließ sich gern rasieren. Er liebte die
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