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Im Namen der Gerechtigkeit - Roman

Im Namen der Gerechtigkeit - Roman

Titel: Im Namen der Gerechtigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nagel & Kimche AG
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Renato weitersprach. Er war noch nie besonders gut darin gewesen, Höflichkeitsfloskeln auszutauschen, und konnte es nicht ausstehen, wenn die Leute – und besonders so zurückhaltende wie Renato – sich zu vertraulichen Mitteilungen hinreißen ließen.
    «Ja, eigentlich ist es doch so, dass man trotz aller Anstrengungen immer wieder mit runtergelassener Hose dasteht. Entschuldigen Sie. Aber nehmen Sie nur mal diese Bar: Ich putze die eine Ecke, und die andere wird schmutzig, ich mache Ihnen ein Glas Wein, und schon will ein anderer einen Kaffee, also drehe ich mich um und mache den Kaffee, doch inzwischen haben Sie Ihren Wein ausgetrunken, und ich muss Ihr Glas abräumen. Und so weiter und so fort, bis in alle Ewigkeit.»
    «Sie könnten einen Kellner einstellen», wagte Doni einzuwerfen.
    Renato schaute ihn an, als wäre er nicht ganz bei Trost.
    «Aber nein, das meinte ich nicht», sagte er. Und nach einer kurzen Pause: «Haben Sie den Krieg miterlebt?»
    «Nein, ich bin Ende vierundvierzig geboren.»
    «Ich habe noch etwas davon mitbekommen. Ich bin in der Toskana geboren, wissen Sie, in Pisa. Als ich fünf Jahre alt war, fielen die Bomben, und ich weiß noch, dass mein Vater mich auf dem Fahrrad aus der Stadt weggebracht hat, nach Vecchiano, zu meiner Großmutter. Er fuhr dann wieder nach Hause, weil er einem Freund helfen wollte, einem Flüchtling. Doch er hat es nicht geschafft. Eine Stunde, nachdem er mich zu meiner Großmutter gebracht hatte, fiel eine Bombe auf das Haus. Da fragt man sich dann doch zeitlebens, wo, zum Teufel, kommt wohl die nächste Bombe runter? Und die Antwort lautet: Einfach irgendwo. Aber muss sie denn, bei all dem Platz, den es gibt, unbedingt auf meiner Rübe landen? Mann, Mann, und nicht mal gezielt, aber so war das eben. Immer denkt man, Bomben fallen irgendwo auf die Straße, wie im Film, wo man sieht, wie Gehsteige in die Luft fliegen und die Leute dann wegrennen. Aber doch nicht aufs eigene Haus. Trotzdem ist sie meinem Vater genau auf den Kopf gerauscht und hat alles demoliert, mein Zimmer, ihr Hab und Gut, alles. Später ist meine Mutter hierher in den Norden gezogen, nach Mailand, zu ihrer Schwester, und ich bin hier in Ortica aufgewachsen und habe diesen Akzent angenommen.» Er nickte zweimal und fuhr sich mit der Hand über die Nase. «Na ja. Ich weiß gar nicht, warum ich Ihnen das alles erzähle.»
    «Aber nicht doch, ich bitte Sie», sagte Doni.
    Der Wirt sah ihn an.
    «Was meinen Sie, ist die Welt besser geworden?», fragte er.
    «Inwiefern?»
    «Ganz allgemein. Seit Ihrer Kindheit.»
    «Das ist eine schwierige Frage, Renato.»
    «Tja, dann werde ich es Ihnen sagen. Die Antwort lautet nein. Sie ist kein bisschen besser geworden, und Leute wie meinen Vater, der mich in Sicherheit bringt, allein unter den Bomben, und der dann zurückfährt, auf die Gefahr hin, getötet zu werden, gibt es überhaupt nicht mehr.»
    Doni nickte zurückhaltend.
    «Und was sagt uns das?», fragte er.
    «Das sagt uns, keine Ahnung, das sagt uns gar nichts. Aber was hat es für einen Sinn, ein Kind in die Welt zu setzen, wenn es dann Krebs bekommt und man es nicht wegbringen und vor den Bomben retten kann?»
    «Da haben Sie recht. Doch was hat es dann für einen Sinn, überhaupt irgendetwas zu tun?»
    «Genau. Was hat das für einen Sinn. Ganz genau.»
    Doni lächelte. «Sie werden mir ja jetzt richtig philosophisch, Renato.»
    Der fuchtelte mit der Hand und verzog das Gesicht.
    «Nein. Ich bin nur sehr alt.»
    Die Tür ging auf, und eine Frau mit einem Queen-Elisabeth-Hut und einer Sonnenbrille im Stil der siebziger Jahre kam herein. Renato stützte sich mit den Händen auf den Tisch und stand auf.
    «Wissen Sie, das mit Ihrem Sohn tut mir wirklich leid», sagte Doni.
    «Ja», sagte Renato. «Ich weiß.»

16
    AM FOLGENDEN TAG gegen Viertel nach elf rief er Elena zurück. Er hatte einen Post-it-Zettel an seine Tür geklebt, auf dem stand, dass er in wenigen Minuten zurück sei, doch man hätte seine Stimme hören können, und ohnehin hatte er ja nichts zu verbergen. Also nahm er den Zettel wieder ab, griff zum Telefon und wählte ihre Nummer.
    Sie meldete sich bereits nach dem ersten Klingeln.
    «Vicenzi.»
    «Ja, guten Tag. Roberto Doni hier.»
    «Dottore! Wie schön, dass Sie sich melden. Wie geht es Ihnen?»
    «Gut. Und Ihnen?»
    «Recht gut, ich sitze gerade an einem Artikel. Wollten Sie mich nicht duzen?»
    Doni nickte ins Leere.
    «Stimmt ja, du hast recht.»
    «Haben Sie sich Khaleds

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