Im Namen der Gerechtigkeit - Roman
auf, sobald man diesen Ort verlässt. Zur Feier des Stipendiums sind Sarah und ich bis nach Chicago gefahren. Das ist wirklich ein place to be , nicht so wie Indiana.»
«Kannst du denn nicht dorthin gehen, um zu arbeiten?»
«Bist du verrückt? Schon dass sie mich nehmen, ist so was von unwahrscheinlich. Ich habe so schon Glück gehabt.»
«Aber du bist doch gut. Du kannst was auf die Beine stellen.»
«Papa, das spielt keine Rolle. Ich hab dir das doch schon tausendmal erklärt, man muss sich anpassen und nehmen, was kommt. Und hier gibt es Leute, die noch viel besser sind als ich, okay?»
Doni kaute Luft.
«Du fehlst mir sehr», sagte er. «Wann kommst du wieder nach Hause?»
«Jetzt, wo ich das Stipendium habe? Ich muss jetzt doppelt so viel arbeiten wie vorher, da ist nichts mit Nach-Hause-Kommen.»
«Na gut, aber auf einen Sprung kommst du diesen Sommer doch vorbei, oder?»
«Mal sehen.»
Doni seufzte.
«Hör mal, Papa, ich muss jetzt Schluss machen, Sarah ist gerade gekommen. Außerdem verpulvern wir beide ein Vermögen, wenn du mich so anrufst, auf dem Handy.»
«Na und!»
«Ich meine ja nur. Wir sollten lieber über Skype telefonieren, falls du dazu fähig bist. Lass es dir von Mama erklären.»
«Du könntest damit anfangen, auf meine Mails zu antworten.»
«Ja, schon gut. Du hast ja recht. Ich muss jetzt los. Grüß Mama von mir, ja? Und trink nicht so viel, das ist nicht gut für deine Leber.»
«Ja, gut. Ich hab dich lieb.»
«Ciao.»
Elisa legte auf. Ein Hupen erschreckte Doni. Als er sein Telefon in die Tasche steckte, bemerkte er, dass er zwischen die Taxis geraten war. Ein Kind an der Hand seiner Mutter zeigte auf ihn und lachte.
17
AM SAMSTAGNACHMITTAG gegen sechs Uhr wartete Doni in einer Schar von Immigranten an der ersten Haltestelle in der Via Padova. Als der 56 er Bus kam, stieg er ein und suchte sich im Gedränge einen Stehplatz. Im Bus stank es, und alle redeten ins Telefon oder miteinander. Außer ihm und einer alten Frau mit einer Baskenmütze gab es dort keine Italiener.
Doni steckte seine Brieftasche in die hintere Hosentasche und presste seine Tasche an sich. Er hatte gewartet, bis Claudia zum Friseur gegangen war, und sich dann umgezogen, bevor er das Haus verließ. Er wollte nicht in Jeans und einem alten Sweatshirt ertappt werden, einem Überbleibsel aus seiner Zeit als Vierzigjähriger.
Zusammen mit seiner Verkleidung hatte er auch eine Sporttasche von Elisa ausgegraben, in die er ein Diktiergerät, einen Notizblock und einen Stift steckte. Er hatte nicht vor, das alles zu benutzen, doch das Gefühl, mit leeren Händen aus dem Haus zu gehen, irritierte ihn. Er war so sehr an ein Köfferchen gewöhnt, dass er nicht ohne etwas in der Hand losgehen konnte.
Ein Südamerikaner starrte ihn an. Doni senkte den Blick. An der nächsten Haltestelle stiegen noch mehr Leute ein, und der Gestank schien noch schlimmer zu werden.
An der sechsten Station, Padova Bengasi, stieg er aus, so wie Elena es ihm wenige Stunden zuvor geraten hatte. Noch auf dem Gehweg hielt er seine Tasche an die Brust gepresst. Er atmete tief durch und sagte sich, dies sei das zweite und letzte Mal, damit sei der Fall für ihn erledigt.
Elena berührte ihn am Arm, und er vollführte einen kleinen Hüpfer auf dem rechten Fuß.
«Guten Tag», sagte die Journalistin. «Wie es aussieht, bin ich dazu geboren, Sie immer zu erschrecken.»
«Ich habe dich nicht kommen sehen.»
«Ich bin schon eine Weile da.»
«Wie geht’s?»
«Geht so. Und bei Ihnen?»
«Geht so.»
Elena lächelte nervös und hob die Hand, um mit dem Finger hinter sich zu zeigen.
«Na dann. Wollen wir? Es ist nicht weit, nur ein paar Schritte. Khaleds Schwester wartet im Park auf uns.»
«Nicht zu Hause?»
«Nein. Sie sagt, das traut sie sich nicht.»
«Gut.»
«Sie heißt Yasmina», sagte Elena.
Sie bogen nach rechts ab und gingen etwa einhundert Meter geradeaus. Die Straße führte auf einen kiesbedeckten Platz mit einem kleinen Park, den sie umschloss. Ringsumher braune Wohnblocks und auf den Bänken einige Penner. Zwei Schaukeln. Ein Parkplatz. Doni las das Straßenschild: Largo Tel Aviv.
Kaum hatten sie einen Fuß auf den Kies gesetzt, stand ein junges Mädchen auf. Doni hatte, vielleicht wegen des Namens, eine junge Schönheit mit einem anmutig schmerzerfüllten Gesicht erwartet. Doch Khaleds Schwester war klein, hässlich und farblos. Als sie sich gegenüberstanden, bemerkte Doni missmutig einen dicken Leberfleck an
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