Im Namen der Gerechtigkeit - Roman
Wärme des Handtuchs und das Rauschen des fließenden Wassers. Der Friseur rasierte ihn mit dem Strich und gegen den Strich, er verwendete einen alten Rasierapparat, in den man noch eine ganze Klinge einlegte, keinen, bei dem die Klinge fest mit dem Apparat verbunden war. Dann und wann verursachte der Rasierer ein kratzendes Geräusch, und die ganze Zeit über konzentrierte sich Doni auf dieses Schrappen.
Das Gesicht mit Kölnischwasser erfrischt, schlenderte er in Richtung Corso Monforte weiter und ging in der Via Vivaio in einen winzigen Plattenladen. Seit einem Monat hing dort ein Schild im Schaufenster: Räumungsverkauf . Die Inhaberin war eine Frau um die vierzig mit einer großen, schwarzumrandeten Kunststoffbrille. Sie saß vor einem Laptop und beschrieb auf dem kleinen Schreibtisch neben dem Eingang Kreise mit der Maus.
In der Klassik-Abteilung stieß Doni auf eine Aufnahme der letzten drei Klaviersonaten von Beethoven, die er noch nicht besaß. Auch der Name des Pianisten sagte ihm nichts, ein junger Mann mit einem slawischen Namen.
Er erinnerte sich, dass er Colnaghi einmal die Sonate Nr. 32 vorgespielt hatte. An einer bestimmten Stelle des zweiten Satzes hatte der gesagt: «Aber das ist ja Swing!» Colnaghi verstand nicht viel von Musik, doch diese Bemerkung hatte Doni beeindruckt. Er hörte sich die entsprechenden Takte der Sonate wiederholt an und stellte fest, dass sein Freund recht hatte. An einer Stelle ist Beethoven seiner Zeit um einhundert Jahre voraus und sprengt die wogende Taktfolge mit einer synkopierten Phrase. Das war unglaublich, und noch unglaublicher war, dass ausgerechnet Colnaghi, der von klassischer Musik keinen blassen Schimmer hatte, ihn darauf aufmerksam gemacht hatte.
Er kaufte die CD und begab sich ins Zentrum, doch er war müde, seine Beine waren bleischwer. Er nahm sich ein Taxi, hatte aber nicht bedacht, dass es im Feierabendverkehr stecken bleiben würde. Trotzdem wartete er geduldig und kam schließlich für ein Heidengeld in der Via Orefici an.
Er machte einen Bummel durch Peck. Jeder in Mailand kannte Peck, zumindest dem Namen nach. Doni liebte es, vor den Auslagen mit Aufschnitt und Käse die Zeit zu vertrödeln und den fettigen, gutbürgerlichen Geruch einzuatmen. Am Ende entschied er sich für einen pâté de foie gras , ein Glas Pilze in Öl, hundert Gramm jamon iberico und zwei Portionen frisch zubereiteter Gemüse-Lasagne.
Er verließ das Geschäft. Vor dem Dom spielte ein Zigeuner ohne Publikum auf dem Akkordeon eine melancholische Melodie. Am U-Bahn-Ausgang warteten junge Burschen aus dem Senegal auf Pendler, Studenten und Touristen, um ihnen bunte Bänder zu verkaufen. Die Strategie war immer die gleiche. Zunächst boten sie sie als Geschenk an, und anschließend baten sie um etwas Kleingeld.
Ein Stück weiter, vor der Vorderfront des Doms, predigte eine Verrückte und wedelte mit einem weißen Tuch im Wind. Einen Moment sah es aus wie eine Szene auf einem flämischen Gemälde.
Doni zog sein Handy hervor und rief, ohne weiter darüber nachzudenken, Elisa an. Zu seiner großen Überraschung meldete sie sich.
«Ciao, Papa.»
«Eli», sagte er.
«Wie geht es dir?»
«Gut. Ganz gut. Und dir?»
«Tja, na ja, geht so.»
«Was macht die Uni?»
«Das Übliche.»
«Du hast also das Stipendium bekommen.»
«Ja, sieht ganz so aus. Diese Mistkerle wollten mich am ausgestreckten Arm verhungern lassen.»
«Aber du hast es geschafft.»
«Aber ich hab’s geschafft.»
Doni lächelte ins Leere.
«Ich freue mich, deine Stimme zu hören», sagte er.
«Ja.»
«Du antwortest nie auf meine Mails.»
Ein kurzes Schweigen.
«Du weißt doch, ich habe immer so viel um die Ohren. Und im Moment weiß ich wirklich nicht, wo mir vor lauter E-Mails der Kopf steht. Andauernd musste ich mich mit dieser oder jener Einrichtung, mit diesem oder jenem Professor in Verbindung setzen, so dass ich praktisch rund um die Uhr am Computer gesessen habe. Du machst dir gar keinen Begriff davon, wie sehr man strampeln muss, um ein bisschen Geld zu bekommen. Doch dann geben sie es dir, stell dir vor, darin sind sie sehr gewissenhaft, ganz anders als bei uns. Trotzdem war es ein Albtraum. Ich hatte nicht mal Zeit, um ins Labor zu gehen oder was zu lesen.»
«Ich verstehe. Das harte Forscherleben.»
«Das kannst du laut sagen. Außerdem bin ich müde. Und Bloomington, na ja, ist wirklich eine sinnlose Stadt. Manchmal denke ich, rings um den Campus ist nichts als Ödnis, und die Welt hört
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