Im Namen der Gerechtigkeit - Roman
Doni.
«Khaled geht es sehr schlecht im Gefängnis.»
«Das kann ich mir denken.»
«Er isst nichts, sagt, er wird geschlagen, und keiner hilft ihm. Neulich war sein Auge so dick angeschwollen.» Sie hielt Doni ihre Faust vors Gesicht. «Ganz schwarz. Er kennt niemanden. Wäre er schuldig, würde er doch jemanden kennen, oder?»
«Darum geht es nicht», seufzte Doni. «Aber es tut mir sehr leid, dass es deinem Bruder so schlecht geht.»
«Er ist unschuldig!», beteuerte sie.
Doni sagte nichts.
«Er ist unschuldig! Unschuldig!»
«Yasmina, beruhige dich», sagte Elena.
«Ich schwöre Ihnen, dass er nicht dort war. Er hat auch keine Pistole! Er hat noch nie eine Pistole angerührt, Khaled weiß nicht mal, wie man zuschlägt.»
«Yasmina.»
Sie begann leise zu weinen. Doni kratzte sich an der Nase und suchte Elenas Blick, doch sie hatte ihren Arm um das Mädchen gelegt und redete leise auf sie ein. Doni bemerkte, dass zwei alte Damen auf dem Kiesweg stehen geblieben waren und sie beobachteten. Etwas weiter entfernt rauchte ein Mann mit einer roten Mütze auf dem Kopf eine Zigarette und spähte zu ihnen herüber.
Schließlich beruhigte sich Yasmina.
«Signore», sagte sie, «ich hoffe, dass Sie Khaled freibekommen.»
«Ich tue, was ich kann.»
«Seit Monaten bin ich ganz allein. Ich habe nichts. Nicht mal mehr Geld für die Miete, ich wohne bei einer Freundin und schlafe in der Küche auf dem Fußboden, ich esse, wie es gerade kommt, nur Elena hilft mir, aber das ist nicht richtig, denn Elena ist nicht reich. Können Sie etwas für uns tun?»
Doni blinzelte.
«Ich tue, was ich kann», sagte er noch einmal.
18
DONI UND DIE JOURNALISTIN kehrten in die Via Padova zurück. Die Straße war nun belebter. Eilige Fußgänger, Fahrräder. Zwei Busse der Linie 56 kreuzten sich und grüßten sich mit einem Hupen.
«Wir haben immerhin etwas», sagte Elena.
«Ja. Ich habe nicht damit gerechnet, dass so ein Detail ans Licht kommen würde.»
«Ich habe Ihnen ja gesagt, dass die Sache nicht so einfach ist.»
«Nein, das ist sie nicht», räumte Doni ein.
Sie kickte mit dem Fuß einen kleinen Stein weg, der am Reifen eines geparkten Autos landete.
«Was denken Sie über Yasminas Geschichte? Darüber, wie sie an Land gekommen ist und das alles.»
«Gar nichts. Tausende sind so nach Italien gekommen, und die beiden hatten noch Glück. Wenn ich gerührt sein will, sehe ich mir einen Film an. Doch ich will nicht gerührt sein.»
Elena seufzte.
«Sie sind ein ganz harter Hund, was?»
«Nein. Ich mag nur keine Tränen und kann solche Geschichten nicht ausstehen. Die habe ich schon zur Genüge gehört.»
«Na gut. Vielleicht könnten wir dann jetzt einen Abstecher zum Tatort machen.»
«Wie bitte?», fragte er lächelnd.
«Ich meine, zur Via Esterle.»
«Gibt es da etwas Besonderes zu sehen?»
«Nein, aber ich dachte, es könnte interessant für Sie sein.»
Doni zuckte mit den Schultern.
«Einverstanden.»
Der Tatort war nicht weit von der Stelle entfernt, an der sie bei ihrem ersten Treffen gehalten hatten, als Elena ihn bat, mit ihr einen Spaziergang zum Piazzale Loreto zu machen. Die Straße lag eingezwängt gleich hinter der Eisenbahnbrücke. Links eine Mauer, rechts parkende Autos und Wohnhäuser. Nach etwa einhundert Metern machte die Straße einen Knick, verbreiterte sich zu einem kleinen Platz und lief dann weiter auf eine größere Verkehrsader zu.
Elena wartete am Anfang der Straße, doch Doni hatte nicht viel zu ermitteln. Er spürte, dass sich die Spannung des Treffens noch nicht gelöst hatte, und auch dessen Konsequenzen waren ihm noch nicht klar.
Er ging mechanisch auf und ab, dann folgte er der Straßenbiegung. Die Mauer war voller Plakate – Veranstaltungen, Konzerte, Mitteilungen der Stadtverwaltung. Auf der anderen Seite ein paar Geschäfte: ein Fleischer, ein Schuster, ein Autoelektriker.
An dem kleinen Platz stand ein Auto mit abgeschaltetem Motor. Aus den offenen Fenstern drang ein Rap und leichter Marihuanaduft. Zwei junge Kerle rauchten auf den Vordersitzen, einer der beiden musterte Doni im Rückspiegel. Er ging weiter. Ein Busdepot der Verkehrsbetriebe. Schließlich ein Parkplatz und ein Grünstreifen, an dem ein Mann saß, der eine Plastiktüte vor sich hatte und dem Verkehr zuschaute.
Doni kehrte um. In einem Schaufenster sah er sein Spiegelbild – wie fotografiert in der Bewegung, mit der er einen Fuß vor den anderen setzte –, und da spürte er endlich, wie etwas in ihm
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