Im Namen der Toten - Rankin, I: Im Namen der Toten - The Naming of the Dead
habe mir keine Zeitung gekauft, verstehen Sie – dafür fehlt mir die Zeit. Aber ich habe die Schlagzeile vorn auf dem Scotsman gelesen. Ist hingegangen und hat sich von einer Art Serienmörder um die Ecke bringen lassen.«
»Einer Art Mörder, ja.« Rebus trat einen Schritt zurück, als Barclay plötzlich aufsprang, aber der junge Mann gab ihm nur ein Zeichen mit einem gekrümmten Finger und ging los.
»Kommen Sie mit, ich zeige Ihnen was«, sagte er.
»Was?«
»Den Grund dafür, dass Sie hier sind.«
Rebus zögerte, gab aber schließlich seinen Widerstand auf und holte Barclay ein. »Ist es weit, Duncan?«, fragte er.
Barclay schüttelte den Kopf. Er machte ausholende, entschlossene Schritte.
»Sie verbringen viel Zeit im Wald?«
»So viel wie möglich.«
»Auch in anderen Wäldern? Ich meine, nicht nur in dem hier.«
»Ich finde überall dies und das.«
»Dies und …?«
»Äste, entwurzelte Bäume …«
»Und der Clootie Well?«
Barclay drehte sich zu Rebus um. »Was ist damit?«
»Schon mal da gewesen?«
»Glaube nicht.« Barclay blieb so plötzlich stehen, dass Rebus beinahe an ihm vorbeigegangen wäre. Der junge Mann hatte die Augen weit aufgerissen. Er schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn. Rebus konnte die gequetschten Fingernägel und Spuren von Narbengewebe sehen – Anzeichen für ein Kunsthandwerkerleben.
»Herr im Himmel!«, entfuhr es Barclay. »Jetzt verstehe ich, was Sie denken!«
»Und was denke ich, Duncan?«
»Sie denken vielleicht, ich hätte es getan! Ich!«
»Wirklich?«
»Heilige Muttergottes …« Barclay schüttelte den Kopf und ging weiter, fast noch schneller als zuvor, sodass Rebus Mühe hatte mitzukommen.
»Ich frage mich gerade, warum Sie und Trevor Guest diesen Streit hatten«, sagte er zwischen zwei keuchenden Atemzügen. »Ich bin nur hier, um Hintergrundinformationen zu sammeln.«
»Aber Sie denken, ich war’s!«
»Waren Sie’s denn?«
»Nein.«
»Also kein Grund zur Sorge.« Ohne großes Vertrauen in seine Orientierung blickte Rebus sich um. Den Fahrweg konnte er zurückverfolgen, aber würde er die Abzweigung zu der Wiese und in den Schoß der Zivilisation finden?
»Ich fass es nicht, dass Sie das denken.« Wieder schüttelte Barclay den Kopf. »Ich zaubere neues Leben aus totem Holz. Die lebendige Welt bedeutet mir alles.«
»Trevor Guest wird aber in nächster Zeit nicht als Obstschale wiederkommen.«
»Trevor Guest war ein Tier.« Ebenso abrupt wie zuvor blieb Barclay stehen.
»Gehören Tiere denn nicht zur lebendigen Welt?«, fragte Rebus völlig außer Atem.
»Sie wissen, dass ich es nicht so meine.« Er ließ den Blick schweifen. »Das stand jedenfalls im Scotsman … im Gefängnis war er wegen Einbruch, Vergewaltigung …«
»Sexuelle Nötigung, um genau zu sein.«
Barclay fuhr unbeirrt fort. »Er wurde eingesperrt, weil sie ihn endlich erwischt hatten – die Wahrheit war ans Licht gekommen. Aber er war schon lange davor ein Tier gewesen.« Er setzte seinen Weg durch den Wald fort, Rebus im Schlepptau, der versuchte, Bilder des Blair Witch Project aus seinem Kopf zu verbannen. Das Gelände fiel zuerst nur ein wenig, dann aber immer steiler ab. Sie waren nun auf der anderen Seite des Weges aus der Zivilisation angelangt. Er begann, sich nach irgendeiner Waffe umzusehen, bückte sich nach einem Ast, doch als er ihn aufhob, brach er auseinander, weil er von innen faul war.
»Was wollen Sie mir denn nun zeigen?«, fragte er.
»Noch eine Minute.« Barclay hielt zur Verdeutlichung einen Finger hoch. »He, ich weiß nicht mal, wer Sie sind.«
»Ich heiße Rebus und bin Detective Inspector.«
»Ich hab mit euch Burschen gesprochen … damals, als es passierte. Hab versucht, euch dazu zu bringen, dass ihr euch Trevor Guest genauer anschaut, aber ich glaube nicht, dass ihr es getan habt. Ich war noch ein Teenager – aber schon als ›das sonderbare Kind‹ abgestempelt. Coldstream ist wie eine große Sippe, Inspector. Wenn Sie nicht hineinpassen, ist es schwierig, so zu tun, als wäre es so.«
»Das glaube ich Ihnen gern.« Ein Kommentar anstelle der Frage, die Rebus eigentlich stellen wollte: Wovon, zum Teufel, sprechen Sie überhaupt?
»Jetzt ist es besser. Die Leute sehen die Dinge, die ich mache, sie begreifen, dass hier doch ein Fünkchen Talent vorhanden ist.«
»Wann sind Sie nach Kelso gezogen?«
»Das ist jetzt mein drittes Jahr hier.«
»Dann muss es Ihnen ja gefallen.«
Barclay musterte Rebus, dann huschte ein
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